Vampirzorn
unserem Revier. Vollkommen in Ordnung – solange ihr hier keine dauerhaften Rechte einfordert!«
» Hey – du hast ja recht, es war eine Gefälligkeit«, zischte eine andere, wesentlich rauere, düstere Stimme in mal höherem, dann wieder tieferem Tonfall mit unverkennbar italienischem Akzent. »Bloß ein kleiner Gefallen. Aber ihr seid gut dafür bezahlt worden, okay? Nun, und wer kann schon sagen, wann Big Joe vielleicht mal auf einen kleinen Gefallen angewiesen sein wird, eh? Also was sollen die ganzen Drohungen? Das brauchen wir nicht, weißt du, außerdem jagt uns sowieso keiner so schnell Angst ein! Richte Big Joe einfach aus, dass wir seine Hilfe zu schätzen wissen. Und vergiss nicht, ihm den Dank von Toni und Francesco Franzezci zu übermitteln.«
»Huh«, grunzte die erste Stimme. Darauf folgten sich entfernende Schritte. Jemand schloss eine Tür.
Als Anderson wieder ganz bei Bewusstsein war, vernahm er noch weitere Geräusche. In regelmäßigen Abständen schlug irgendwo laut hallend ein Wassertropfen auf. Daneben hörte oder spürte er vielmehr ein stetes Rauschen, so, als strömten direkt unter ihm große Mengen Wasser, wenn nicht ein Fluss, dahin. Unter ihm?
Er saß aufrecht auf einem Stuhl – nein, er war daran gefesselt. Rohe Holzbohlen knarrten unter seinen Füßen, als er das Gewicht verlagerte, um zu verhindern, dass er einen Krampf im Bein bekam. Ganz langsam, versuchsweise, bemühte er sich, die Lider zu öffnen, die sich verklebt anfühlten, so, als habe er zu lange oder zu fest geschlafen. Doch noch ehe seine Augen ganz offen waren, erstarrte er, als er einen Laut hörte, der eigentlich nur von einem Schiff oder einer Fähre stammen konnte – das schwermütige Tuten eines Nebelhorns.
Demnach befand er sich wohl irgendwo am Fluss? Ein kalter, feuchter Abend am Fluss. Auf einem Hausboot vielleicht? Oder an einer Mole? Egal! Irgendjemand musste sich hier ganz schrecklich irren! Was auch immer das alles sollte, sie hatten den Falschen erwischt! Endlich gelang es Anderson, die Augen zu öffnen. Er hob den Kopf von der Brust, und auch dies bereitete ihm Schmerzen und sandte gleißend helle, gezackte Blitze durch seinen Schädel. Sie hatten ihm doch keinen Schlag verpasst, oder? Auf den Kopf womöglich? Nein, es war das Chloroform; sie hätten ihm beinahe eine Überdosis von dem Zeug gegeben.
Chloroform? Entführt? James Anderson, der auf der ganzen Welt keinen einzigen Feind hatte? Wer sollte ihm denn so etwas antun? Und weshalb?
Er holte tief Luft, um nach Hilfe zu rufen, und ...
... hinter ihm wurde eine Tür geöffnet und eine Lampe eingeschaltet. Das Licht war gedämpft – nur eine Birne in einer Fassung, die von einem Spiralkabel baumelte –, doch es ging so plötzlich und unerwartet an, dass er in seinem Stuhl zurückzuckte. Vor Schreck schrie er unwillkürlich auf und versuchte, den Kopf zu wenden, was ihm nur weitere Schmerzen bereitete.
»Nein, nein«, vernahm er rau wie Sandpapier die Stimme von eben – diejenige mit dem italienischen Akzent. »Spar dir deine Kräfte und bleib ganz ruhig sitzen.« Der Mann, dem die Stimme gehörte, trat in Andersons Blickfeld. »Deinen Atem kannst du dir auch sparen«, fuhr er fort, »dich wird hier nämlich keiner hören. Selbst wenn du so laut schreien könntest, haben wir ... nun ja, nicht vor, dich zu lassen.«
Sie waren zu zweit, allerdings keineswegs die Schlägertypen, mit denen Anderson, der Stimme nach zu urteilen, gerechnet hatte. Dunkleren Typs, schlank und hochgewachsen, erweckten sie mit ihren langen Mänteln und den tief ins Gesicht gezogenen Hutkrempen einen auf eher klinische Art weitaus finstereren Eindruck als irgendwelche Kerle aus Andersons Vorstellung. Ihm war klar, dass es sich um die beiden handelte, die ihm durch seine Gartentür gefolgt waren, und dass zumindest einer von ihnen einen Blick wie ein wildes Tier hatte und spitze, weiße Zähne, die er beim Grinsen entblößte.
Sie zogen sich zwei wackelige Stühle heran und nahmen, die Lampe im Rücken, ihm gegenüber Platz, sodass ihm nur das Funkeln ihrer Augen verriet, dass sich im Schatten der tief herabgezogenen Krempen ihrer Filzhüte überhaupt Gesichter befanden. Das Funkeln ihrer Augen, und hin und wieder das Aufblitzen weißer Zähne, wenn einer von ihnen grinste. Sekundenlang sagte niemand ein Wort. Schließlich hielt Anderson es nicht länger aus.
»Was soll das?«, stieß er hervor. »Worum, zum Teufel, geht es hier eigentlich?« Damit stemmte er sich
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