Vampirzorn
wollte ihn auf keinen Fall in Gefahr bringen, nicht ihren Harry! Und schon gar nicht jetzt, wo ihnen beiden noch weit größere Gefahren bevorstanden.
»Du hast ja keine Ahnung, was du da verlangst«, sagte sie.
(Oh, doch, die hatte er! Und wie er die hatte! Du brauchst mich doch bloß zu fragen, schrie er sie an, allerdings kam kein Ton über seine Lippen. Denn so lange sie ihn nicht fragte, konnte er ihr nicht mitteilen, was er wusste. Und selbst wenn sie ihn gefragt hätte, hätte er ihr niemals verraten dürfen, woher er das wusste, denn das hätte bedeutet, seine Geheimnisse zu gefährden.)
B. J. sah, dass Harry der Schweiß auf die Stirn trat, und hörte ihn allen Ernstes mit den Zähnen knirschen. Dies war ihr zuvor schon an ihm aufgefallen, wenn er unter Stress stand. Sein Geist befindet sich im Leerlauf, dachte sie bei sich, weil ich die Gangschaltung blockiert habe! Er weiß, dass wir etwas unternehmen müssen, darf aber erst etwas tun, wenn ich es ihm befehle.
»Zahanine«, sagte sie. »Man darf sie nicht so hier finden. Das haben die Drakuls angerichtet. Womöglich hängen sie jetzt schon irgendwo am Telefon und rufen die Polizei. Sie könnten versuchen, mich in die Enge zu treiben – oder auch dich beziehungsweise uns beide, um uns aufzuschrecken, damit wir fliehen. Und dann, wenn wir die Flucht ergreifen, heften sie sich uns an die Fersen, weil sie unser Ziel kennen. Sie wissen, wohin wir wollen, verstehst du?«
»Zu Radu«, nickte Harry.
»Wir müssen Zahanine loswerden!« Kaum hatte B. J. das gesagt, schlug sie sich entsetzt die Hand vor den Mund. »Ich meine, wir sollten sie von hier wegschaffen. Aber ich kann nicht ... verdammt noch mal ... nicht denken! Zahanine glaubte, das gestern Abend wärst du gewesen, dabei waren sie es. Und ich habe Zahanine auch noch hierhergeschickt – sie kam hierher – aus eigenem, freiem Willen ...« B. J. redete wirr. In ihrem ganzen langen Leben war ihr das nur äußerst selten passiert, und ihr war klar, dass die Panik sie übermannte. »Harry, ich habe keine Ahnung, was wir mit Zahanine anstellen sollen! Ihr Wagen steht auch noch an der Zufahrtsstraße neben der Brücke! Was sollen wir bloß mit ihr und dem Wagen machen? Weißt du, wo wir sie ... loswerden können? Ich meine, weißt du überhaupt irgendetwas?« Sie packte ihn am Kragen und schüttelte seinen Kopf hin und her. »Hast du auch nur einen einzigen verdammten Vorschlag?«
Dies waren direkte Fragen, und darauf konnte er ganz normal antworten. Ja, er wusste da einen Ort, und er hatte auch ein paar Vorschläge zu machen. »Du verschwindest von hier«, sagte er, »auf der Stelle. Überlass’ alles mir! Aber erst sagst du mir, wo ich dich finde. Später, wenn alles erledigt ist, komme ich zu dir.«
Einfach so! Mit weit aufgerissenen Augen wich B. J. ungläubig zurück, als habe er ihr einen Kinnhaken verpasst. Harry steckte voller Abgründe, die sie noch gar nicht ausgelotet hatte, geschweige denn begriff. Er stand auf. »Wo bist du untergekommen?«
Sie nannte ihm den Ort, einen kleinen, direkt an der Straße gelegenen Pub diesseits von Falkirk, in dem sie mit ihm gefrühstückt hatte, damals bei ihrer ersten gemeinsamen Klettertour. »Sie vermieten dort Zimmer und glauben, wir, die Mädchen und ich, erstellen eine Studie über die Leute, die in der Region leben. Aber die meiste Zeit hielten die Mädchen einfach die Augen nach dir auf. Du bist nicht leicht zu finden, Harry Keogh. Und folgen kann man dir auch nicht so ohne Weiteres!«
Ja, das stimmte, und außerdem hatte er ihr gesagt, er würde alles in die Hand nehmen. Das war B. J. ganz recht, denn im Augenblick fühlte sie sich der Sache nicht gewachsen. »Brauchst du Hilfe?« Sie konnte wenigstens den Versuch unternehmen. Für ihn. Für sie beide.
Er schüttelte den Kopf. »Geh besser! Ich komme nach, sobald ich kann.«
»Ich werde dich jetzt aufwecken«, sagte sie. »Aber du wirst dich daran erinnern, was du zu tun hast – die Dinge, die du so gut beherrschst – und wo du mich findest, wenn alles erledigt ist.«
»B. J.«, sagte er. Dabei hielt er sie fest im Arm, während sie ihm ins Ohr flüsterte: »Harry, mein Geliebter ...«
Es war, als erwache er aus einem bösen Traum, nur um sich in einem noch schlimmeren Albtraum wiederzufinden. B. J. war weg, und der Necroscope wusste, was er zu tun hatte. Er legte Zahanines Kopf mitsamt dem Fleischermesser zum Körper auf den Läufer, rollte diesen zusammen und verschnürte die Enden mit
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