Vampirzorn
...
»Was in ...?«, begann Ragusa, als er endlich wieder in der Lage war, etwas zu sagen. »Bist du jetzt völlig übergeschnappt?«
Doch der kleine Mann hörte gar nicht hin, sah ihn noch nicht einmal an. Stattdessen wischte er mit dem Ärmel die leicht beschlagene Windschutzscheibe frei und starrte geradeaus, den Feldweg entlang. Als er Ragusa schließlich doch einen flüchtigen Blick zuwarf, waren seine Augen blutrot. »Siehst du den Rauch aus dem Kamin da vorne? Das kleine Häuschen hinter den Bäumen?«
»Uh?« Ragusa sah grimmig hin und nickte dann. Er hatte sich noch immer nicht ganz gefasst. »Das Haus da drüben? Ja. Und was ist damit?«
Mit bereits wieder wässrigen Augen sagte McGowan: »Der Mann, der darin wohnt, heißt John Guiney, beziehungsweise der Alte John, wie ihn die Einheimischen nennen. Er ist ein Jagdgehilfe und wohnt schon immer hier.«
»Eh? Jagdgehilfe?«
»Ein Fährtensucher, Wildhüter, Waldläufer ... und er gehört zu Radu Lykans Knechten, nehme ich an.«
Ragusas Aufmerksamkeit war nun voll und ganz auf das Haus zwischen den Bäumen gerichtet. Er war noch immer verärgert, wütend gar, doch nun hatte er etwas, worauf er seinen Zorn konzentrieren konnte, ein Ziel. »Weshalb glaubst du das?«
»Damals, als ich sah, wie Bonnie Jean Mirlu mit ihrem Geliebten die Drakuls fertigmachte, fuhren sie den Wagen des Alten John. Und wenig später am selben Tag hatte er ihn wieder zurück. Falls John Guiney also kein Knecht des Hunde-Lords ist, ist er doch mit Sicherheit ein Freund von B. J.«
»Ich kann keinen Wagen sehen.« Ragusa kniff die Augen zusammen.
»Wahrscheinlich steht er hinter dem Haus.«
»Ich will ihn sehen. Dann kenne ich ihn ebenfalls.«
»Okay, aber nur kurz«, entgegnete der kleine Mann, indem er den ersten Gang einlegte. »Und denk dran«, fügte er hinzu, so als wolle er Ragusa absichtlich auf die Palme bringen – was er ja auch vorhatte –, »das hier ist bloß eine Erkundungstour! Also vergiss nicht, wer hier das Sagen hat ...«
So leise wie möglich ließ McGowan den Wagen in einem niedrigen Gang über eine Schicht glitzernden, knirschenden Schnees rollen, weg von der Landstraße nach Aviemore, bis er an einen Feldweg gelangte, der zwischen den kahlen Bäumen hindurch an dem wie ein Ansichtskartenmotiv anmutenden Haus vorbeiführte. Auf der gegenüberliegenden Seite schaltete er im Schutz der Bäume den Motor aus und kurbelte das Fenster herunter. Draußen herrschte winterliche Stille, die Sonne war nichts als ein blasser, grauer Fleck weit unten im Tal.
»Da ist der Wagen des Alten John«, grunzte der kleine Mann. »Hinter dem Haus, wie du siehst.«
»Weiß der Kerl, wer du bist?«, stieß Ragusa heiser hervor. »Und wenn nicht, weshalb dann diese Heimlichtuerei? Ich meine, wer ist er schon ... stellt er etwa eine Bedrohung dar? Ein alter Mann, der allein lebt und nur darauf wartet, dass sein verdammter Hunde-Lord endlich von seinem Berg herabkommt?« Er machte Anstalten auszusteigen, doch McGowan hielt ihn zurück:
»Wohin willst du? Habe ich dir nicht oft genug gesagt, dass dies bloß eine Erkundungsfahrt ist?«
»Scheiß’ auf deine Erkundungsfahrt!«, fuhr Ragusa McGowan an, indem er das Jackett zurückschlug und ihm sein Schulterhalter samt Waffe zeigte. »Ich werde mir jetzt diesen alten Knacker vornehmen. Falls er ein – wie sagtest du gleich? – ›Mondkind‹ ist, kann ich ihn nicht rekrutieren. In dem Fall werde ich ihm ein, zwei Fragen stellen. Schließlich ist er bloß ein Knecht. Eigentlich sogar weniger als ein Knecht, noch nicht einmal ein Vampir. Auf diese Weise sparen wir eine Menge Zeit ... für Francesco, kapiert? Wenn ich von dem alten Knaben ein paar Antworten bekomme – schön und gut, dann erfahren wir etwas. Und wenn nicht, auch gut, nur dass er dann früher stirbt. Die Leiche entsorgen wir irgendwo, wo sie keiner findet, dann haben wir einen Kerl weniger, um den wir uns Sorgen machen müssen.«
»Und Vincent Ragusa heimst dann die Lorbeeren ein, richtig?«, zischte McGowan.
»Passt dir das nicht?«, knurrte Ragusa. »Du verschrumpelter kleiner Scheißkerl? Du kannst ja mitkommen und mir dabei helfen!«
»Nein!«, meinte McGowan finster. »Mach das mal schön selber – Goldjunge! Meine Befehle sind eindeutig!«
»Ganz recht«, grinste Ragusa boshaft. »Deshalb bist du immer noch ein Gefolgsmann, Angus, und wirst es auch immer bleiben. Gib mir zehn Minuten, und ich garantiere dir, ich werde mehr über das, was hier unten
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