Vampirzorn
wie es ... früher war? Aber natürlich weißt du das! Ich für mein Teil weiß es jedenfalls ganz genau, verstehst du – nicht dass ich wieder damit anfangen möchte! Dennoch muss ich sagen, dass einige der besten Mahlzeiten, die ich jemals zu mir genommen habe, an äußerst hässlichen Orten serviert wurden, aye.«
Und Ragusa befand sich an einem wahrhaft scheußlichen Ort. Er konnte sich an keinen grässlicheren erinnern. Die rohen Wände waren von Salpeter überzogen, der Fußboden von steinernen Fliesen bedeckt, die in einer Ecke abgehoben waren und ein übel riechendes Loch freilegten, durch das rostige Ketten in der Finsternis verschwanden. Auf einer Werkbank lagen diverse Werkzeuge herum; in dem Raum befand sich ein riesiger, rußgeschwärzter Herd, über dem ein mit einer Haube versehener Rauchabzug nach oben führte ...
... und in der Mitte ein mit einem weißen Tischtuch gedeckter Tisch, darauf glänzendes Geschirr mit auf Hochglanz poliertem Besteck, Gläser und eine mit Rotwein gefüllte Schiffskaraffe. Das Ganze wirkte hier so unpassend, dass Ragusa im ersten Moment glaubte, er bilde sich dies alles nur ein. Er vermochte die Augen nicht von dem Anblick, der sich ihm bot, abzuwenden. Doch mit Sinnen, die weitaus schärfer als die eines gewöhnlichen Menschen waren, nahm er den Duft nach Nahrung wahr, oder vielmehr ... er witterte, wie McGowan es ausgedrückt hätte, eine Speise, die »eher nach seinem Geschmack sein dürfte«.
Hinter der steinernen Treppe führte ein gemauerter Bogen in ein Nebengemach oder einen Durchgang. Von dort kam der Geruch. Als der alte McGowan sah, wie Ragusas Blick dorthin wanderte und seine Nüstern sich weiteten, musste er grinsen. Er entzündete einen Kerzenstumpf, warf das noch brennende Streichholz in den Ofen und warnte, indem er in das enge Gelass vorausging: »Vorsicht, komm’ nicht an die Wände. Bleib nirgendwo hängen – falls du kapierst, was ich meine.«
Und Ragusa begriff sehr wohl, was McGowan meinte. Alle sechzig bis neunzig Zentimeter waren an der Wand Fleischerhaken ins Mauerwerk einbetoniert, die meisten davon verdreckt und verrostet. Am letzten dieser Reihe, ganz hinten in der Nische, hing eine menschliche Gestalt ... beziehungsweise was davon übrig war. Ab den Schultern fehlten die Arme, ebenso ein Bein, das linke, unterhalb des Knies. Vom rechten Bein war nur noch die Hälfte des Oberschenkels vorhanden. Alle Stümpfe waren sorgsam ausgebrannt. Überhaupt war es erstaunlich, mit welcher Sorgfalt die Verstümmelungen vorgenommen worden waren.
»Du verstehst aber dein Handwerk«, grunzte der Sizilianer und merkte, wie ihm das Wasser im Mund zusammenlief.
»Hah!«, schnaubte McGowan, der bereits sein Opfer in Augenschein nahm, frustriert. »Der verdammte Kerl ... ist hinüber!«
»Oh?«
»Ist mir unter der Nase weggestorben! Heute Morgen habe ich noch mit ihm geredet, da lebte er noch – weißt du, ich habe alles nur Erdenkliche getan, damit er durchhält. Und jetzt ...«
Abermals zeigte Ragusa sich beeindruckt. »Er konnte immer noch sprechen?«
»Oh, aye – allerdings hatte er nicht mehr genug Kraft zu schreien. Hah! Ich hätte nicht gedacht, dass er das schaffen würde, zum Teufel mit ihm! Aber er war ja schon immer ein Dickkopf, dieser George Ianson! Trotzdem war es nicht ganz umsonst, er ist immer noch frisch, wie du siehst. Gehen wir wieder zurück, und mach’s dir schon mal am Tisch bequem!«
Wieder im Hauptraum des Kellers, gab der kleine Mann ein paar Spritzer Olivenöl in eine große, flache, rauchgeschwärzte Schale, die auf dem Herd stand. Während er sich an der Werkbank einige Utensilien zusammensuchte, wollte er wissen: »Welches Stück magst du, Vincent – und sag’ mir, wie du es gerne hättest!«
»Ach, die Wahl überlasse ich ganz dem Koch«, grunzte Ragusa und produzierte dabei etwas, was er für ein freundliches Achselzucken hielt. »Aber selbstverständlich nicht ganz durchgebraten, am besten blutig!« Mittlerweile klang seine Stimme ebenso belegt wie diejenige von McGowan. »Eins noch«, fügte er hinzu, als der kleine Mann mit dem trügerischen Äußeren schließlich mit einer Säge und ein paar Messern in dem Gelass hinter der Treppe verschwand, »was, dachtest du, würde dein Bullenfreund nicht schaffen? Sich umzubringen?«
»Aye, ganz recht«, erscholl die Antwort. »Trotz allem kommt es hin und wieder vor. Man kann sie unter Drogen setzen, damit sie keine Schmerzen mehr haben und um den Schock zu betäuben,
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