Vampirzorn
wenn das Ganze zu sehr aus dem Gleichgewicht gerät, verliert selbst ein Egel die Kontrolle.
»Und wenn Francesco mitbekommt, was aus mir geworden ist oder vielmehr wird?« Antonio versuchte, durch den aus dem Schacht emporwabernden Dunst zu spähen. »Du hast angedeutet, dass er nicht ganz so hilfsbereit sein würde wie ich.«
Es kann ja durchaus sein, dass ich mich irre. (Antonio spürte ein Achselzucken.) Aber selbst wenn, sieh dir doch bloß an, wie ich hier untergebracht bin. Ist es das, was du möchtest, mein Tonio? Zu einem Ding in einer Grube werden?
»Lieber würde ich sterben und den wahren Tod erleiden!«
Genauso empfinde ich auch, erscholl es zur Antwort. Und ich habe gesehen ... ich habe gesehen ... (Er verstummte.)
»Was – hast du gesehen?«
Nichts! Nichts außer der Tatsache, dass der Hunde-Lord zurückkehrt. Oh, und natürlich dass er hierherkommen wird! Aber sonst nichts, nein.
»Hierher!?«, zischte Antonio. »Das hast du bisher nicht erwähnt!«
Doch, habe ich, das habe ich! Schon vor Jahren, lange bevor dieser Harry in eure Schatzkammer eindrang und sich mit eurem ganzen Geld davonstahl. Damals sagte ich euch, dass Radu uns aufspüren würde.
»Wann?« Antonio umfasste die Ummauerung und beugte sich noch ein bisschen weiter über den dunklen Schlund des Schachtes. »Wann wird er kommen?«
Er ist bereits erwacht.
»Das weiß ich«, fuhr Antonio ihn an, »ich habe nämlich mit Francesco gesprochen. In den schottischen Bergen spürte er seine Präsenz. Radus Wiederkunft steht jetzt kurz bevor. Aber ... er wird hierherkommen, sagst du? Wie kann das sein? Francesco wird ihn doch bestimmt aufhalten?«
Ich glaube nicht. Oh, dein Bruder kommt dem Original schon sehr nahe, gewiss. Aber Radu ist das Original!
»Dann muss ich machen, dass ich von hier wegkomme!« In Antonio stieg Panik auf. Mit einem Mal empfand er die bedrückende Atmosphäre ebenso sehr wie bisher jeder andere Gefangene der Manse Madonie.
Er würde dich aufspüren, ganz gleich, wohin du dich wendest. Die Vernunft sagt, bleibe hier und verteidige, was du hast! Bist du wirklich so weit von deinen Ursprüngen entfernt, dass du noch nicht einmal mehr um deinen Besitz kämpfen willst?
»Ich durchschaue dich!«, knurrte Antonio. Endlich wich die Lähmung von ihm und er schüttelte seine schon krankhafte Niedergeschlagenheit ab – oder vielmehr seine Angst erledigte dies für ihn. »Du willst doch nur, dass ich hierbleibe, um dich zu verteidigen!«
Nein, denn für mich sehe ich keine Zukunft mehr. Ganz ruhig jetzt, Antonio, mein Toni! Bedenke doch, was du hier hast: eine wahre Festung und genug Männer, deine Vampirknechte, um sie zu verteidigen. Wie sollte Radu über dich herfallen, ohne dass du ihn vorher bemerkst? Vom Rand der Hochebene, von den Wällen der Manse Madonie aus; Vampiraugen, die des Nachts nach dem großen Wolf Ausschau halten! Er kann nur über das Felsgewirr des Plateaus oder über deine Zufahrtsstraße hierhergelangen. Du hast doch Wachen! Außerdem weißt du, wann er kommen wird – nämlich zu seiner Zeit! Eines Nachts, wenn der Mond voll ist.
»Er wird also Francesco überwältigen – der deinen eigenen Worten zufolge deinen verdammten ›Ursprüngen‹ weit näher ist als ich – und soll dann mir und den Meinen unterliegen? Und wenn Francesco, wie du angedeutet hast, kurz davorsteht, vernichtet zu werden, weshalb sollte ich mir dann Sorgen darüber machen, wie ›hilfreich‹ er sein wird?« Antonios normalerweise bleiches Gesicht war aschfahl geworden, seine Augen funkelten rot. »Du stolperst über deine eigene Zunge, Angelo Ferenczy. Was du mir erzählst, ergibt keinen Sinn. Du spielst ein Spiel mit mir, und früher oder später wird es ans Licht kommen!«
Keine Spiele, mein Sohn, mein lieber, sanfter Toni, erwiderte Angelo. Die Zukunft wandelt seit jeher auf verschlungenen Pfaden; wie können wir uns einer Sache je ganz sicher sein? Diese Angelegenheiten sind viel zu ernst, um Spiele zu spielen; außerdem bin ich zu alt dafür ... ganz zu schweigen von meinem Hunger! Ich bin so entkräftet, dass ich noch nicht einmal richtig denken kann. Du hast mir schon seit geraumer Zeit keine Nahrung mehr gegeben. Einen kleinen Happen vielleicht? Etwas Frisches, Junges?
»Nein!«, fuhr Antonio ihn an. Doch dann schien er es sich anders zu überlegen. »Na gut! – Wenn du mir alles gesagt hast, was ich wissen möchte. Denn ich bin mir sicher, dass du auch den Ausgang von allem vorhergesehen hast. Vorerst
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