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Vampirzorn

Vampirzorn

Titel: Vampirzorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Lumley
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mehr auf die Realität verlassen, ja, von Zeit zu Zeit fragte er sich, ob es so etwas wie Realität überhaupt gab. Tief im Innern jedoch war er sich, als allzu menschliches Wesen, durchaus des Unterschieds bewusst zwischen dem, was sein und was nicht sein konnte. Beziehungsweise nicht sein durfte. Und manches von dem, was sein Leben vor der Zeit, an die er sich nicht mehr erinnern wollte, ausgemacht hatte, zählte gewiss zu letzterer Kategorie. Doch hier stellte sich gar nicht erst die Frage, was war und was nicht, oder vielmehr nach dem, was sein sollte beziehungsweise unmöglich sein konnte. Hier gab es weder eine Vergangenheit noch eine Zukunft, um die er sich Sorgen machen musste, bloß den Augenblick.
    Ebendeshalb hatte er diese Zelle zu seiner Zuflucht erkoren. Seither hatte er sich über so gut wie nichts Gedanken gemacht. Nun allerdings schien er zu sich zu kommen und überlegte, weshalb sein Denken jetzt wieder einsetzte – dabei war ihm eigentlich klar, weshalb. Bald nämlich war Essenszeit, und dann wäre es aus mit der sicheren Zuflucht.
    Er wollte sich strecken – und konnte es nicht. Konnte nicht? Aber er konnte den Kopf bewegen, um nachzusehen, was ihn festhielt. Und dann fiel es ihm wieder ein, eine unklare, verschwommene Erinnerung an Männer, die einen schweren, gepolsterten Lehnstuhl in seine kleine Gummizelle gebracht hatten. Das war im Anschluss an einen sehr üblen Albtraum geschehen, als er angefangen hatte zu schreien und nicht mehr aufhören konnte. Und er erinnerte sich an die Zwangsjacke, in die sie ihn gesteckt hatten, ehe sie ihn auf den Stuhl setzten und seine Handgelenke an die gepolsterten Armlehnen schnallten.
    Doch das war nur ein kleines Ärgernis, im Grunde genommen nichts verglichen mit jener anderen Sache: Ständig hörte er Tote, die zu ihm sprachen, und zwar andauernd, ganz gleich ob er nun schlief oder hellwach war! Solange er wach war, war es gar nicht mal so schlimm, dann konnte er damit umgehen; er wusste, wie er sie aussperren konnte.
    Im Schlaf jedoch kamen dann immer die Albträume, in denen er sich wehren musste und um sich trat, damit das alles aufhörte! Deshalb die ... Zwangsjacke? Die Leute hier schienen nicht zu begreifen, dass sie ihn nur wach halten mussten. Dann bräuchten sie ihn nicht zu fesseln. Und sie wollten ihn auch nicht erklären lassen – wahrscheinlich weil man ihn so schlecht verstand oder weil er dauernd von Dingen redete, die sie nicht hören wollten –, was ihn nur frustrierte und wütend machte. Und wenn er dann anfing zu schreien, gaben sie ihm jedes Mal eine Spritze und die zahllosen Toten fingen wieder an, pausenlos auf ihn einzureden.
    Er war zwar hier eingebrochen, aber aus diesem Teufelskreis vermochte er nicht mehr auszubrechen – was seinem Sicherheitsempfinden Abbruch tat. Dies war keineswegs die Zuflucht, die er sich vorgestellt hatte. Vielleicht sollte er von hier weggehen und einen wirklich sicheren Ort aufsuchen. Doch das hieße, wieder durch Türen zu schreiten, die gar nicht existierten ... auch damit hatte er nun abgeschlossen! Außerdem konnte er sich, so wie er gefesselt war, ja nicht rühren. Aber das war schon in Ordnung; die Ruhe und Einsamkeit taten ihm gut, oder etwa nicht? Er hatte bloß keine Ahnung, was er wegen des Fütterns unternehmen sollte.
    Er saß auf seinem Stuhl. Es juckte ihn, aber er konnte sich nicht kratzen. Mit der Zunge fuhr er über die wunden Stellen in seinem Zahnfleisch ober- und unterhalb der Schneidezähne; die aufgescheuerte, aufgerissene Haut, wo Willis ihm den scharfen Löffel mit Gewalt in den Mund gestoßen hatte. In seinen Ohren und Nasenlöchern spürte er eine Kruste. Dorthin hatte ihm der sadistische Pfleger den Brei gestopft, als Harry sich weigerte, den Mund aufzumachen. Wenn Willis das nächste Mal kam – was nun recht bald sein musste –, würde er einen feuchten Schwamm mitbringen und Harry ein bisschen sauber machen, ehe er wieder von vorn anfing. Harry war sich zwar nicht ganz sicher, was genau er nun tun sollte, dennoch war ihm klar, dass er wegen der Fütterung etwas unternehmen musste ...
    ... Im Augenblick allerdings redete jemand mit ihm, jemand, der lebendig war, und Harry merkte, dass er ihm Antwort gab. Nun ja, vielleicht konnte man es nicht unbedingt Antwort geben nennen, aber zumindest sagte er etwas; wahrscheinlich machte er seinen Beschwerden Luft.
    »Sehen Sie«, sagte die Stimme, »ich habe keinen blassen Schimmer, was hier eigentlich los ist. Wenn ich wüsste,

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