Vampirzorn
gleichgestellt – eine unglaubliche Vorstellung!
Einmal (oh, es war lange, lange her) hatte sie zu viel von ihrem Blut in Radus Bottich fließen lassen und bereits wirr geredet. Dabei hatte sie das Thema angeschnitten. Und nun fiel ihr auch wieder ein, was er darauf erwidert hatte:
Ach, meine Bonnie! Denk’ doch mal nach, denke einfach mal nach! Wenn ich ein Hunde-Lord bin und das weibliche Gegenstück eines Vampir -Lords eine Lady ist ... wozu würde dich das dann wohl machen? Zu einer großen Hündin? Doch wohl eher zu einer Schlampe als zu einer Lady!
Darauf erscholl sein hustendes, bellendes Gelächter in ihrem Geist ... aber hinter dem Lachen vernahm sie auch ein tiefes, nachdenkliches Grollen, ein Knurren.
Damals verstand sie nicht ganz, doch er tat es ab, indem er sagte: Lass gut sein, meine Bonnie. Bis dahin sind es noch hundert Jahre! Aber du, eine Wamphyri? Vom jungen Mädchen zur alten Hexe? Oder einem Riesen-Miststück, was auch immer ...
Dies war das erste Mal, dass Radu ihr ihre Bestimmung verwehrte; und seither hatte es noch viele solcher Gelegenheiten gegeben. Er hatte nicht gewollt, dass ihre Gedanken diese Richtung einschlugen, und B. J. glaubte auch zu wissen, warum. In den Zukunftsvisionen des Hunde-Lords gab es nämlich keinen Raum für andere Lords – beziehungsweise Ladys ...
Die Scheinwerfer eines entgegenkommenden Wagens blendeten B. J., und als er vorüber war, richteten ihre Gedanken sich wieder auf das Hier und Jetzt. Sie schüttelte sich, nahm eine aufrechtere Position hinter dem Lenkrad ein und versuchte, sich auf ihr Ziel zu konzentrieren, darauf, wohin, zu wem und weshalb sie dorthin fuhr. Die Gegenwart zählte mehr als die Vergangenheit, und die Dinge, die ihr durch den Kopf gingen, hatten sich lange vor Harrys Zeit ereignet. Viel mehr als um Radus oder auch um ihre eigene Zukunft sorgte sie sich nun darum, was aus Harry werden würde.
Ob sie ihn brauchte? Weshalb sich selbst noch länger etwas vormachen? Natürlich brauchte sie ihn, schließlich liebte sie ihn, er war »ihr Geliebter«. Wahnsinn, aye! Und abermals verlor sie sich in Gedanken:
Radu hatte sie davor gewarnt, Harry zu infizieren; sie durfte alles tun, was sie wollte, um ihn zu verführen, doch auf gar keinen Fall durfte etwas von ihr in ihn gelangen. Der Hunde-Lord wollte ihn rein, und selbstverständlich wusste sie auch, weshalb. Sollte es Radus Vampiregel nicht gelungen sein, ihn von der Pest in seinem Blut zu heilen, dann würde er es mit Seelenwanderung versuchen: der Übertragung seiner kompletten Persönlichkeit in den Körper eines anderen – in Harrys Körper! Denn in seinen Träumen hatte Radu einen Geheimnisvollen gesehen, den »Mann-mit-den-zwei-Gesichtern«, der in der Stunde seiner Wiederauferstehung da sein würde. Harry Keogh war solch ein Mann, mit Überlebensfähigkeiten, die eines Wamphyri würdig waren.
In gewisser Hinsicht fand B. J. die Vorstellung reizvoll, in anderer wiederum unerträglich. Der Gedanke an Harry mit der beeindruckenden Kraft Radus gefiel ihr; war seine Langlebigkeit derart erst sichergestellt, würde er, ausgestattet mit den Fähigkeiten eines Spezialagenten, den perfekten Gefährten für sie abgeben. Aber ihr war klar, dass es so nicht ablaufen würde. Denn er würde Radus Geist haben und sich irgendwann auch verwandeln. Und B. J. wusste, wie Harry dann aussehen würde: so wie im Augenblick Radu Lykan! Er wäre wie Lehm in den Händen des Hunde-Lords, und Radu würde ihn nach seinem Bildnis neu formen. Und selbst B. J. überlief ein Schauder, wenn sie sich ihren sogenannten »Gebieter« in seinem gewaltigen Bottich – den grotesken Umriss, halb Mensch, halb Hund, der durch die trübe, nahezu undurchsichtige Harzkruste zu sehen war – vorstellte.
Nein, daran durfte sie nicht einen Moment lang denken. Und doch würde sie in drei Monaten, wenn der Frühling kam, ebendies tun müssen. Dann nämlich plante Radu seine Auferstehung. Im Grunde könnte es schon jetzt so weit sein, doch vor dem großen Ereignis wollte er Harry erst einmal sehen. Eigentlich hatte er ihn bereits vor drei Monaten sehen wollen, und hätte es nicht einen Zwischenfall mit einem Leutnant und einem Knecht der Drakuls gegeben, wäre dies auch geschehen. Damals hatte Harry Keogh erneut sein Talent zum Überleben unter Beweis gestellt – und auch seine Gefühle für Bonnie Jean, denn er war bereit, sie mit seinem Leben zu schützen. Jedenfalls gab es jene Drakuls nicht mehr.
Und dort, auf halbem Weg
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