Vampirzorn
vielleicht sogar mehr als nur einen Keim – und sie für unzulänglich befinden.
Die Sache des Hunde-Lords hatte also Bestand – aufrechterhalten durch Abscheu und Faszination, Furcht und Notwendigkeit – und B. J. war weiterhin hin- und hergerissen zwischen der Loyalität zu einem albtraumhaften Wesen, das einer fremden Welt und einem seit Langem vergessenen Zeitalter entstammte, und der Liebe zu einem Mann, der sehr wohl von dieser Welt und seiner Zeit voraus war. Aber es stimmte durchaus, sie war Radu nicht mehr so treu ergeben wie früher, das belegten allein schon ihre einander widerstreitenden Gefühle.
Oh, einst hatte es eine Zeit gegeben, da hatte sie ihn mit derselben Inbrunst verehrt wie ein ganzes Dutzend ihrer knechtischen Vorfahren vor ihr, selbst allesamt Mondkinder. Doch mehr als Radus Gesinde und Knechte waren sie nie gewesen. Bonnie Jean Mirlu hingegen war ... eine Wamphyri!
Damit war es also heraus, endlich wagte sie es, diesen Gedanken zu Ende zu führen. Nicht anders als der Hunde-Lord zählte auch B. J. zu den höchstrangigen Vampiren, und sehr bald würde sie wohl zu einer Lady aufsteigen.
Wie es dazu gekommen war, war schwer zu sagen. Weil B. J. regelmäßig aus freien Stücken ihr Blut auf Radus Organismus übertrug? Aber das ging doch gar nicht; soweit sie wusste, funktionierte die Übertragung stets nur in eine Richtung! Und während der ganzen Zeit, die sie nun schon in Radus Diensten stand, hatte B. J. – abgesehen von Säften, die bereits aus ihrem Leib ausgetreten waren – noch niemals Körperkontakt mit ihm gehabt. Wie denn auch, wo er doch in einem Bottich aus nahezu völlig verfestigtem Harz lag? Ah, aber noch nicht einmal die Wamphyri konnten alles über ihren eigenen ... Zustand ... wissen, dessen Geheimnisse so vielfältig waren wie das Leben selbst ...
War B. J. aufgrund von Genen, die nicht minder hartnäckig waren als die Wamphyri, etwa so etwas wie ein Rückschritt zu den Verhältnissen auf der Sternseite einer Vampirwelt? Oder war Radu womöglich aus Versehen eine Spore entwichen und durch das Harz allmählich an die Oberfläche und schließlich in ihren Organismus gelangt? Was auch immer, jedenfalls war ihr klar, dass sie einen Egel in sich trug, der rasch heranreifte.
Sie wusste es, fühlte es so sicher wie das kräftige Schlagen ihres eigenen Herzens oder den durch ihre Lungen strömenden Atem. Und hätte sie noch den geringsten Zweifel gehegt, war da immer noch die Vampirmetamorphose, die sie seit nunmehr vierzig Jahren überkam. Jedes Mal bei Vollmond oder kurz davor verwandelte sie sich in ... etwas anderes als eine Frau. Darüber hinaus verspürte sie diesen brennenden Drang, das Bedürfnis zu laufen, im Mondlicht mit dem Rudel zu heulen und ... zu jagen! Sie empfand eine ungeheure Bandbreite an Emotionen, Leidenschaften, die jedes menschliche Maß weit überstiegen, eine an Wahnsinn grenzende Gier nach Leben und Blut, welches das Leben ist! Wamphyri-Leidenschaften! Außerdem hatte B. J. noch eine weitere Eigenschaft, die eindeutig bewies, dass sie eine Wamphyri war: Sie bewachte eifersüchtig ihr Revier!
Seit fast zweihundert Jahren waren die Berge über dem lang gestreckten, bewaldeten Tal des Spey das Territorium, über das sie wachte. Ihr kleines »Rudel« – die Mädchen, die sie rekrutiert hatte, um aus ihnen Mondkinder zu machen, und die sie hin und wieder, wenn es notwendig wurde, ersetzte – gehörte allein ihr. Selbst mit seiner Höhle, seinem Bau, war B. J. wesentlich vertrauter, als es der Hunde-Lord jemals gewesen war. Für Radu bedeutete er lediglich eine Zuflucht, ein Versteck, ein Grabmal. Für B. J. dagegen eine Feste und, nachdem sie erst einmal aufgestiegen und zu einer voll ausgereiften Lady der Wamphyri geworden war, ihren Sitz, den geheimen Ausgangspunkt ihrer Operationen.
Vielleicht trug sie den Gedanken schon lange, möglicherweise schon seit Jahrzehnten, mit sich herum, als das Jahr von Radus Auferstehung drohend näher rückte, sodass sie oftmals dachte: Wie wird es wohl sein, wenn mein Gebieter wiederauferstanden, wenn er zurück ist? Was wird gestattet sein und was nicht? Und sie fragte sich: Was, wenn er nach Rumänien zurückkehrt und sich – nun, da die Drakuls und Ferenczys nicht mehr dort sind – seine Hufeisen-Berge zurückerobert?
Falls er dies vorhatte, könnte er ja B. J. zurücklassen, um auf den Bau in den Cairngorms aufzupassen, wo sie zu einer wahren Lady werden könnte. Dann wären sie und er einander
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