Vampyrus
warst hier und hast einen Schwur auf Rumänisch geleistet. Du sagtest: Gnädigster König! Ich leiste den Eid der Treue und schwöre und verspreche ohne Arglist und Betrug Eurer Majestät und ihren Nachfolgern und der Krone Ungarn mit allen mir unterstehenden Ländern, Bojaren und Leuten Treue und Gehorsam.“
Kennis schüttelte ungläubig den Kopf. Er fühlte sich benommen, nicht im Hier und Jetzt. Die Touristen hatten einen Kreis um sie gebildet und schwatzten vergnügt. Einer deutete mit dem Finger auf ihn und lachte.
„Ich muss weg von hier“, er sprang auf, zog Britta hinter sich her durch die Menschenmenge und manövrierte um einige Marktstände herum, um den ruhigeren Rand des Marktplatzes zu erreichen. Dort lehnte er sich erschöpft an ein Gebäude und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
„Was geschieht mit mir? Ist dies ein nicht enden wollender Albtraum? Werde ich verrückt, seid ihr normal?“
„Kennis beruhige dich. Ich weiß, es ist schlimm für dich. Nichts hat mehr Gültigkeit und du wirst mit Wesen konfrontiert, die du bisher ins Reich der Fantasie gesteckt hast. Aber wir sind wirklich! Ich bin hier, fass mich an, und auch Darius gibt es. Wir sind nicht deine Einbildung.“ Sie folgte seinem Blick zum Turm der Frauenkirche. „Ich weiß nicht, was vorhin mit dir passiert ist. Aber ich bin sicher, es war etwas Bedeutsames. Ob du es willst oder nicht, du spielst eine wichtige Rolle für das Gleichgewicht dieser Welt. Warum kann ich dir nicht erklären; ich weiß nur, es ist so. Du hast Teile des Grimoire gelesen, also glaub mir, wenn ich dir sage, dass es Leute gibt, die deinen Namen mit deinem Blut auf Vampyrus schreiben wollen, um dich für ihre Zwecke auszunutzen.“
Kennis zweifelte. Auf der einen Seite überzeugten ihn Brittas Worte. Er hatte Dinge erlebt, die mit den ihm bekannten Naturgesetzen nicht erklärbar waren. Auf der anderen Seite wähnte er sich als Opfer eines teuflischen Komplotts, das ihn in den Wahnsinn treiben wollte. Er wusste einfach nicht mehr, was er glauben oder wem er trauen sollte.
„Kennis flieh, Darius konnte nicht alle Magier aufhalten. Ein paar werden gleich hier sein.“ Sie küsste ihn und im Kopf hörte er ihre Stimme: „Schnell, lauf, und pass auf dich auf. Ich werde dich finden, Liebling.“ Sie ließ ihn los und lief zurück auf den Marktplatz, während er sich aus seiner Erstarrung löste und über die Museumsbrücke davon sprintete.
Er rannte zur nächsten U-Bahn-Haltestelle und sprang in den ersten Zug. Dort drückte er sich in eine Ecke des Waggons und musterte misstrauisch die Mitfahrenden. Ob das junge Mädchen dort vorne eine Vampirin war? Sie hatte glatte, lange, schwarze Haare und grellrot geschminkte Lippen im bleichen Gesicht. Gekleidet war sie ganz in Schwarz, ein T-Shirt mit einem Schädel und eine Nietenjeans, dazu Springerstiefel. In ihren Ohren steckten die schwarzen Stecker eines MP3-Kopfhörers. Kennis’ Blick sprang zu einem Mann, der mit verschränkten Beinen einige Reihen vor ihm saß. Auch er trug einen schwarzen Anzug, dazu ein weißes Hemd und eine schwarze Krawatte. Das Auffälligste war jedoch die pechschwarze Sonnenbrille, ein Accessoire, das man auch als cooler Typ in mittleren Jahren in der U-Bahn eigentlich abnahm. Gegen den braun gebrannten jungen Mann im roten T-Shirt neben ihm wirkte seine Haut wie geronnene Milch.
Die U-Bahn wollte gerade wieder anfahren, als ein Mann es mit einem Sprung noch durch die sich schließende Tür schaffte. Er zog an seinem langen, schwarzen Umhang, von dem ein Stück des Saums in der Tür hängen geblieben war. Kennis spürte wieder die abgrundtiefe Angst, die ihn schon einmal umhüllt hatte, als der Magier ihn verfolgt hatte. Auf einen Schlag wurde ihm bewusst, was ihm gerade durch den Kopf ging; er prüfte seine Umgebung auf Vampire und Magier. Das war krank. Der Magiertyp knüllte gerade seine Robe in die Aktentasche. Na klar, er war an der Haltestelle beim Gericht eingestiegen, er war Anwalt. Das Mädchen war wahrscheinlich einem Heavy Metal Konzert entsprungen und der Sonnenbrillentyp von den Zeugen Jehovas. Jedenfalls musste er aufhören, sich verrückt zu machen. Wahrscheinlich war sowieso alles nur ein total irrer Traum, hervorgerufen durch das Lesen des Wiener Büchleins. Gleich würde er aufwachen und fluchend den Wecker ausstellen. Diesem tröstlichen Gedanken hing Kennis noch nach, als die nette Frauenstimme erklärte, der nächste Halt sei der Fürther Hauptbahnhof. Jetzt
Weitere Kostenlose Bücher