Vandark - Ein Spooky-Abend am Kamin
hatte eine für mich nicht zu übersehende Ähnlichkeit mit Violet – auch wenn das abgebildete Mädchen deutlich jünger war. Doch der Police Constable erschrak ebenfalls bei dem Anblick des Amuletts. Er erkannte es.
Es ist unglaublich – noch innerhalb der folgenden Stunde wurde meine Zimmerwirtin, die nette Witwe, verhaftet. Das Bild im Amulett zeigte sie und ihre jüngere Schwester Rebecca in jungen Jahren. Der Police Constable hatte nicht nur das Amulett erkannt, sondern kannte auch noch genau die Geschichte von damals.
Er konnte sich noch gut an Rebecca erinnern. Als sie jung war, sprang sie immer im Hang herum und sammelte leidenschaftlich Veilchen. Als junge Frau hatte sie sich aber wohl vergriffen und sich mit dem falschen Mann eingelassen, einem echten Taugenicht s, der in jedem Hafen eine andere hatte. Es ist schon schlimm, was rücksichtslose Männer anrichten können. Vielleicht fehlte auch die lenkende Hand von Eltern; denn sowohl Vater als auch Mutter waren früh verstorben. Jedenfalls munkelte man, dass Rebecca von dem Mann geschwängert worden war. Doch man sah sie nicht mehr. Ihre Schwester hielt wohl ihre schützende Hand über sie und kapselte sie von der Öffentlichkeit ab. So sollte offenbar die Schande verheimlicht werden.
Die folgende intensive Befragung meiner Zimmerwirtin und die Konfrontation mit dem Amulett ergaben schließlich, dass die Witwe die Tochter ihrer Schwester schon wenige Tage nach Ende der Schwangerschaft umgebracht und verscharrt hatte. Dabei war ihr unbemerkt das Amulett abgefallen und zwischen die Windeln des Kindes gerutscht. Als sie das Amulett Tage später vermisste, hatte sie den Verlust nicht mit dem Verscharren in Verbindung gebracht – und so brachte dieses Schmuckstück jetzt, über zwanzig Jahre später, das Geschehen ans Tageslicht.
Zum Verbleib von Rebecca konnte die Witwe jedoch nichts s agen. Sie versicherte glaubhaft – doch was heißt bei einer Mörderin schon ‚glaubhaft‘ -, dass Rebecca wenige Tage nach der Tat mit gepackten Sachen verschwunden war. Sie wusste nicht wohin. Sie hat sie nie wiedergesehen.
Du kannst Dir meine Aufregung und Verwirrung sicher vorstellen. Was war hier geschehen? Es scheint offensichtlich, denn die Fakten kenne ich ja. Ich habe sie Dir soeben beschrieben. Aber was war mit mir selbst in den letzten Tagen passiert. Wer ist Violet? Ist Violet nur ein Geist? Obwohl ich sie deutlich gespürt habe? Falls ja, wessen Geist? Hat sich das Mädchen, das ich ausgegraben habe, in all den Jahren in einer anderen Welt weiterentwickelt? Das Alter stimmt genau. Oder ist Violet tatsächlich real und eine glückliche Fügung? Ich weiß nicht, was ich glauben soll.
Du verstehst mich sicherlich, wenn ich meine Arbeit in den Maidens erst einmal ruhen lasse. Jetzt brauche ich ein paar Tage Ruhe.
Du hörst von mir
Dein aufgebrachter Matthew“
„Der Ort eines Mordes! Matthew schlief in einem Haus des Grauens!“
Ungeduldig blätterte Melanie weiter.
„ Zwei weitere Tage sind vergangen. Die Ruhe tut mir gut.
Von George habe ich einen Brief erhalten. Aber was soll ich jetzt auf diesen Brief antworten, wo doch schon zwei weitere mit Neuigkeiten an ihn unterwegs waren.
Von Violet habe ich nichts mehr gehört. Ist – oder besser: war - sie tatsächlich das kleine Mädchen, das jetzt seine wirkliche letzte Ruhe gefunden hat? Ich weiß es nicht. Wie auch.
Ich schlender te im Hang, passierte die Stelle des grausamen Fundes, die jetzt wieder fein säuberlich zugeschüttet ist. Der Blick auf das Meer hinaus hat etwas unsagbar Befriedendes. Ich spüre mit jedem Atemzug, wie sich immer mehr Wohlgefühl im Körper ausbreitet.
Und doch wühlt e sich wieder vieles im Innern auf, als ich an dem Felsvorsprung vorbeikam. Hier sah ich Violet zum letzten Mal. Oh Violet! Ich weiß nicht einmal, ob du real bist. Doch wie sehr vermisse ich dich!“
Zwar endete hier der Eintrag, doch schon auf der nächsten Seite setzte Matthew mit einer Notiz des gleichen Tages fort.
„Ich blickte mich soeben genauer um. Wo mag sie von genau dieser Stelle aus hingelaufen sein? Ich suchte nach einem Fußweg. Oder vielleicht sogar Fußspuren, obwohl das nach vier Tagen eher aussichtslos scheint.
Ein Felsabbruch fiel mir auf. Ich inspizierte die Stelle genauer. Als Archäologe bekommt man im Laufe der Jahre einen gewissen Blick für geologische Gegebenheiten, auch wenn das nicht zum Spezialgebiet gehört. Der Abbruch ist nicht frisch. Die
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