Variationen zu Emily
Krankenzimmer ist kein geeigneter Raum, um einen Kämpfer auszustatten. Da war das Bett, der erstaunliche Nachttisch, der Fernseher, ein morscher Stuhl, ein naives Bild an der Wand und unter dem Bett das unsägliche Ding für die Aufnahme seiner Ausscheidungen.
Dann entdeckte er die Stahlplatte am Fußende seines Bettes, auf der bei der Visite immer sein Krankenblatt ergänzt wurde. Sie war nur eingehängt und leicht zu entfernen. Er richtete sich auf, hob das Ding ab und prüfte es. Eine Kante umgebogen, die anderen drei stumpf. Aber ein heftiger Schlag gegen den Hals oder auf die Stirn oberhalb der Augen würde einen Gegner für eine Weile außer Gefecht setzen. Allerdings würde er es beim ersten Schlag schon verlieren, da es zu glatt war, um festgehalten zu werden. Aber dann hätte er ja schon die Pistole des Wachmanns. Dass er noch nie eine Waffe dieser Art in der Hand gehabt hatte, machte ihm keine Sorgen. Es gab genügend Filme, in denen vorgeführt wurde, wie einfach die Bedienung war. Entsichern, schießen, tot. Er würde ein Auto anhalten, den Fahrer zwingen, ihn nach Hause zu bringen, ein paar Sachen packen und sich für die nächsten Wochen in dem Versteck ihrer Jugendzeit verbergen. Zu dieser baufälligen Hütte kam nie jemand, und seine Leute würden sich eher foltern lassen, als ihn zu verraten.
Das war das Gute an der selbstgewählten Isolation. Er gehörte dazu, und solange das so war, würde ihn niemand verraten. Morgen, schwor er sich, als er ermattet zurücksank. Wenn die Besuchszeit vorüber war, würde er sich anziehen, die Stahlplatte nehmen und versuchen, zunächst den Wachmann auszuschalten, um an die Waffe zu kommen. Danach würde er wahrscheinlich einfaches Spiel haben. Möglichst unauffällig herunter in das Erdgeschoß und nur zur Not mit der Waffe fuchteln oder s chießen. Wenn alles gutging, musste er niemanden verletzen außer dem Bullen draußen. Und dann raus auf die Straße. Vor der Klinik warteten immer irgendwelche Angehörigen von Kranken auf ihre Frauen oder Tanten, die eine kurze Visite machten, um beim Erbe berücksichtigt zu werden. Einer davon war, ohne es zu wissen, sein Fahrer. Er war vom Schicksal schon bestimmt.
Valerios Kopf schmerzte jetzt höllisch. Das angestrengte Nachdenken bekam seinem lädierten Gehirn nicht. Aber er lächelte beim Gedanken an Doreen, die morgen abend nur noch sein leeres Bett bestaunen konnte. Er schloss die Augen und fiel in einen fiebrigen Schlummer, in dem er die Flucht aus seinem weißgetünchten, gekachelten Gefängnis immer wieder voller Aufregung und Angst durchlitt. Bei jedem Durchgang stellten sich ihm neue Hindernisse in den Weg. Einmal war der Bulle vor der Tür ein krakenähnliches Geschöpf, dem er mit seinem plötzlich durch die Hände tropfenden Blech gar nicht nahe kam, weil die vielen langen Arme ihn umschlangen und ihm das Leben aus dem Leib pressten.
Ein anderes Mal blieb er im Fahrstuhl stecken, und er verhungerte, weil das Krankenhaus wegen aufgetretener Malariafälle geschlossen worden war. Eine Horde nackter Krankenschwestern mit Häubchen begegnete ihm in einem endlosen Gang und stürzte sich wie ein Schwarm liebeskranker Bienen auf ihn, um ihn in einer Lawine schwabbelnden Fleisches zu ertränken. Doreen kam zur Tür herein, als er gerade voller Hoffnung auf den Ausgang zustürzte, und schoss auf ihn. Ein Arzt, der mit einer unvernünftig großen Spritze unterwegs war, rannte in ihn hinein und jagte ihm dabei eine Nadel von der Größe einer Fußballpumpe in den Bauch.
Schweißgebadet schlug er die Augen auf und sah eine Schwester, die sich über ihn beugte und ihm eine Injektion in den Arm gab. „Ist ja gut, mein Kleiner“, sagte sie lächelnd, „wir kümmern uns um dich. Du hast nur schlecht geträumt. “ Sie zog die Nadel heraus, presste ihm einen Tupfer auf die Einstichstelle und verstaute ihr Handwerkszeug in einer Kitteltasche. Sie redete noch eine Weile mit ihm, doch die Worte stiegen hallend zu dem mit grauen, wirbelnden Wolken bedeckten Himmel auf, wo sie verschluckt wurden.
29. STAU
Himmel ... was ist denn heute in di esem Dorf los ... schon wieder ein Stau ... als wären alle Einwohner unterwegs, um Einkäufe zu machen ... Weihnachten ist doch noch eine Weile hin ... ich wollte eigentlich bald Feierabend machen ... um sechs im Kochs ... so war es verabredet ... aber Wolfgang kennt ja meinen Job ... wird ein wenig warten müssen ... darin ist er wirklich gut ... niemals Vorwürfe
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