Variationen zu Emily
seinem erkalteten Urin, und vor ihm dräute dieser deutsche Drache mit dem dünnen, am Hinterkopf zu einem Knoten zusammengesteckten Haar, das die rosige Kopfhaut durchschimmern ließ. Niemand draußen durfte jemals davon erfahren. Ein richtiger Mann pinkelte nicht ins Bett. Das war Kleinkindern, sehr alten Menschen und Säufern vorbehalten.
Sein Kopf schmerzte so, dass er die Augen nur minutenlang offenhalten konnte. Die große Fräse, die ihm das Gehirn aushöhlte, pausierte immer nur für drei, vier Stunden nach Einnahme der Tabletten, die er zweimal täglich erhielt. Er konnte Schmerzen aushalten. Das hatte er den Jungs bewiesen, als sie ihn in der alten Scheune auf die Probe stellten, um festzustellen, ob er dazugehörte. Aber dieses nervenzerfetzende Mahlen inmitten seiner empfindlichsten Zellen trieb ihm den Schweiß aus der Haut und die Augen aus dem Schädel. Das hatten sie sich ausgedacht, damit er aussagte. Seine Freunde verpfiff, alles gestand. Er kannte sich ein wenig aus. Es war nicht der erste Schlag auf den Schädel, den er erhielt. Aber normalerweise tauchte man für eine Weile ins Dunkel ab und kämpfte anschließend mit einem heftigen Katerschmerz. Doch der ging mit der Zeit vorüber, glitt abends mit allen Gedanken in den Trichter des Schlafs und tauchte nicht wieder daraus hervor, als wäre er darin ertrunken.
Nein, die setzten offensichtlich Medikamente ein, um mit Hilfe dieses wahnsinnigen Bohrens in seinem Kopf seinen Willen zu brechen. Waren die Deutschen nicht schon während der Nazizeit Spezialisten in dieser Disziplin gewesen, als sie Juden und Zigeuner zu Millionen vergasten und diesen gemeinen Arzt – wie hieß er noch – seine Versuche am lebenden Objekt machen ließen? Sicherlich waren sie fünfzig Jahre später auf der nächsten oder übernächsten Stufe der Qualwissenschaft angelangt. Sie steckten alle unter einer Decke, wenn sie es auch zu verbergen suchten und ihm genau dosierte Ruhepausen gönnten.
Klar. Wenn er durch die Schmerzen verrückt würde, hätten sie nichts mehr von ihm. Ärzte, Schwestern und diese Kommissarin, sie alle beteiligten sich an der Verschwörung. Obwohl gerade die Polizistin wirkte wie eine von denen, die sich um die Armen und Benachteiligten kümmern. Sie spielte ihre Rolle ausgezeichnet. Sie sah hübsch aus, hatte eine Art von Schalk um die Augen und lächelte sehr nett. Wenn er ihr unversehens auf der Straße begegnet wäre, hätte er sie nie für einen Bullen gehalten. Eher für eine junge, lebenslustige Frau, die Männer mag und nebenher ein unschuldiges Hobby pflegt, für das sie einen großen Teil ihres Einkommens ausgibt – Schuhe zum Beispiel. Er hatte beim Friseur von einer ehemaligen Präsidentengattin gelesen, in deren Schränken man nach einer Revolution mehrere hundert Paar Schuhe fand. Natürlich würden es bei der Polizistin weniger sein. Vielleicht dreißig. So viel Geld verdiente man als Beamter schließlich auch nicht. Aber vielleicht sammelte sie auch Seidenschals, Glasfiguren oder Bücher.
Derart nutzlosen Plunder hatte er in seiner Kindheit in den Räumen von Frauen gesehen, für die seine Mutter putzte. Sie nahm ihn dama ls immer mit, weil sie nicht wusste, wohin sie ihn geben sollte. Zwar war die Nachbarschaft hilfsbereit, aber seine Mutter verfügte über eine snobistische Ader. Zu einfach, zu dumm, zu schlampig, schlechter Umgang. So lauteten ihre knappen Verdikte, wenn er einmal eine Chance aufgetan hatte, dem langweiligen Herumsitzen in einer Vorstadtvilla zu entkommen. „Die werden es nie zu etwas bringen, so wie die leben“, sagte sie mit ihrem jämmerlichen Großstadtakzent. „Die sind doch wie die Tiere.“ Sie musterte ihn, steckte ihren Daumen in den Mund und wischte ihm mit dem speichelglänzenden Ding die Augen und den Mund sauber. Wie er diese Waschungen gehasst hatte!
Aber während Ärzte und Schwestern für ihn natürliche Feinde waren, denen man wegen ihrer Übermacht mit List begegnen musste, empfand er die Polizistin absurderweise häufig als Verbündete. Sie beschuldigte ihn nie, sondern fragte immer nach seinem Ergehen. Ob sie etwas für ihn erledigen könnte, ob ihm etwas fehlte. Sie fasste ihn sogar manchmal an, und dann fühlte er in seinem Innern eine Mischung aus Angst und Wohlbehagen, die sich manchmal in einer leichten Erektion niederschlug. In ihrer Anwesenheit fühlte er sich beinahe gut, obwohl er wusste, dass ihr Verhalten nur Täuschung war.
Er hatte gelesen, dass die Bullen beim Verhör
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