Variationen zu Emily
meistens zu zweit auftraten. Es gab den harten Burschen, der brüllte und auch schon mal zuschlug. Sein Kompagnon dagegen lächelte häufig, bot Zigaretten an, ließ eine Pizza holen und tat sehr freundlich. Doreen stand für die freundschaftliche Rolle. Sie hatte ihn gebeten, sie mit ihrem Vornamen anzureden. Aber wer zum Teufel war dann der harte Bursche? Vielleicht brauchten sie ihn gar nicht, weil sie Medikamente einsetzten. Und weil er sich körperlich ohnehin so beschissen fühlte, dass ein Folterknecht gar nicht gewusst hätte, wo noch ein wenig zusätzlicher Schmerz herauszuholen war. Vielleicht reichte das Krankenhaus für diese Rolle. Aber egal, was die Theorie sagte: Sie arbeiteten zusammen.
Die Fenster waren vergittert. Draußen vor seiner Tür saß Tag und Nacht ein bewaffneter Polyp, um ihn zu bewachen. Mit seinem Physiotherapeuten durfte er nur innerhalb seines Zimmers umhergehen und gymnastische Übungen machen, um wieder zu Kräften zu kommen. Dabei hatte er durch das Fenster gesehen, da ss bei schönem Wetter die Bewohner des ganzen Krankenhauses draußen im Garten herumliefen. Er war offensichtlich wichtig, und trotz der Einschränkungen gab ihm das ein gutes Gefühl. Sie wollten etwas von ihm. Nun, da würden sie sich noch ein wenig mehr einfallen lassen müssen. Er hatte nichts oder fast nichts gesagt. Er war mit Freunden, an deren Namen er sich nicht erinnern konnte, zu einem Fast-food-Restaurant unterwegs gewesen. Plötzlich tauchte aus einer Seitenstraße ein Mann auf, der ihn ohne Grund mit seiner Aktentasche niedergeschlagen hatte. Ein Wahnsinniger, vermutete er.
Doreen hatte gelächelt und mit ihrer dunklen, warmen Stimme gefragt: Hatten Sie an dem Abend eigentlich ein Mädchen dabei, Valerio? Und er hatte spontan dagegengefragt: Sagen Sie, Doreen, haben Sie eigentlich keine Waffe? Sie trug enge Jeans und über ihrem Sweat-Shirt eine kurze schwarze Lederjacke. Sie lachte und zeigte dabei ihr e schönen Zähne: Meinen Sie, dass ich hier eine brauche? Verlassen Sie sich darauf: Wenn ich eine benötige, dann habe ich sie. Eigentlich ist sie eine von uns, dachte er. Trotz ihres seltsamen Vornamens sah sie aus wie ein Mädchen aus seinem Viertel. Der Schnitt ihrer Augen, der dunkle Teint, die weiche Stimme und die sanften, fließenden Bewegungen bildeten eine Melodie aus vertrauten Tönen. Nein, kein Mädchen, sagte er. Wenn Männer ausgehen, haben Frauen dabei nichts zu suchen. Und er versuchte, streng und männlich auszusehen, weil er voraussah, dass sie wieder lachen und ihm nichts anderes übrig bleiben würde, als mit schmerzenden Gesichtsmuskeln einzustimmen. Komische Sitten habt ihr, sagte sie, ohne zu lachen. Ich gehe gern mit Männern aus. Es ist viel interessanter, weil sie so anders sind. Sie sind manchmal so ernsthaft, wenn es um lächerliche Themen geht wie um Autos oder Sport. Und sie sind wie Kinder, wenn es um Frauen geht. Verstehst du das?
Er dachte eine Weile nach. Dann sagte er: Über unsere Spielzeuge streiten wir manchmal, aber für unsere Frauen kämpfen wir. Und weil wir nicht immer kämpfen wollen, müssen sie sich im Hintergrund halten, um niemanden herauszufordern. Was ist daran so schwer zu verstehen? Sie nahm seine Hand, sah ihn lange an und sagte dann: Das war eine wirklich gute Antwort. Ich werde darüber nachdenken. Bis morgen. Sie lächelte, als sie aufstand, und an den Falten um ihre Augen sah er, dass sie müde war. Sie war schön, obwohl sie ungefähr zehn Jahre älter sein musste als er, und sie verstand ihn. Aber sie gehörte zur Gegenseite. Ihr Verständnis, ihre Zärtlichkeit und ihre Schönheit waren Waffen, die gegen ihn gerichtet waren, auch wenn er ihren Einsatz meistens genoss, weil er die Verletzungen nicht spüren konnte.
Sie gehörte zur Verschwörung gegen ihn, die irgend jemand im Präsidium organisiert hatte und an der alle beteiligt waren. Das durfte er nicht vergessen. Ihr Ziel war, mit allen Mitteln seinen Willen zu brechen – mit Medikamenten, willkürlich hervorgerufenen Schmerzen, mit Härte und Quälerei bei der Physiotherapie und nicht zuletzt mit Schönheit und Sex. Er war überzeugt davon , dass sie instruiert worden war, mit ihm ins Bett zu gehen, wenn das eine vollständige Aussage zur Folge haben könnte. Der verständnisvolle Bulle entpuppte sich als Hure. Er musste sich eingestehen, dass er in sie verliebt war. Aber er hasste sie auch, weil sie an diesem Spiel gegen ihn teilnahm und ihren Körper dafür einzusetzen bereit
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