Varus - Historischer Roman
Weingarten, wo sie zwischen den Reihen der abgeernteten Rebstöcke Fangen gespielt hatten, fröhliches Lachen, Scherzworte, schwerelos. Bis sie nebeneinander auf der kühlen Erde lagen. Er erinnerte sich an jeden der zahllosen Sprenkel auf ihrer Haut, an jedes Grübchen, an jeden Winter, wenn er den Urlaub auf dem väterlichen Hof verbracht hatte, an die gestohlenen Freuden unter derbem Manteltuch.
Bis er eines Tages auf dem väterlichen Hof eingetroffen
war, die Beförderung zum Centurio in Aussicht, mit dem festen Entschluss, die Frau und ihr Kind zu sich zu holen, und eine andere, jüngere Sklavin vorgefunden hatte, die stumpf ihren Dienst tat und dem Alten das Bett wärmte. Die Kleine sei tot, hatte er von seinem Vater in einem nüchternen Moment erfahren, verblutet, weil der Alte das Geld für die Hebamme versoffen hatte.
Die Kälte breitete sich von Zehen und Fingerspitzen her aus, und das Tosen schien sich zu entfernen. Das Mädchen winkte ihm durch einen Schleier. Ihre Beine waren blutüberströmt, was sie nicht zu stören schien. Sein Atem wurde dünner, der Puls matt.
Sein Körper zerriss zugleich mit dem Nebel.
Der Medicus stand vor Vala, hob die blutverschmierten Hände in einer Geste der Hilflosigkeit. Im lichten Baumbestand der Aue, dessen Blätterdach notdürftig vor der Nässe schützte, übertönte das Ächzen und Wimmern der Verwundeten den abebbenden Kampflärm, und die Luft war getränkt von einem scharfen, fauligen Gestank wie in einem Schlachterladen. Hinter dem Medicus lag die Trage, auf der sie den geborgenen Centurio aufgebahrt hatten; der linke Arm lag neben dem Körper, als wäre er abgerissen, und ein reinweißes Tuch bedeckte lose sein Gesicht.
Vala trat an die Bahre und fasste einen Zipfel des weißen Tuches, als der Medicus die Hand auf seine Schulter legte.
»Du willst das nicht sehen, Quintus Numonius. Bewahre ihn im Gedächtnis, wie du ihn kennst.«
Zögernd hielt Vala den feinen Stoff fest und blickte umher, sah schmutzige Klumpen auf dem Boden verteilt, Hände, Füße, und sein Magen krampfte sich zusammen. Er ließ
das Tuch fallen, als er erkannte, dass die Konturen darunter nicht mehr die eines menschlichen Gesichtes waren. Der Medicus murmelte, dass es ihm leidtue. Ein gellender Schmerzensschrei traf Vala bis ins Mark, erstickte unter einem Knebel zu einem schrillen Winseln. Hastig winkte Vala ab und eilte zu seinem Pferd. Er wollte weg von diesem Ort. Eigentlich hätte er bleiben müssen, von einem Verwundeten zum anderen gehen und Mut zusprechen müssen, aber er war dazu nicht imstande.
Eine Stimme ließ ihn zusammenfahren.
»Wenn du mir sagst, wie wir mit drei Legionen durch die Sümpfe kommen, dann weiß ich einen anderen Weg für uns!«, blaffte Ceionius. Er stand hinter Valas Pferd, halb von diesem verdeckt; bei ihm war ein zweiter Offizier, von dem nur die Beine zu sehen waren, dünne, knotige Beine - Eggius.
»Nicht durch die Sümpfe!«, entgegnete dieser. »Wir brauchen einen festen Platz, ein Lager, um die Truppen zu sammeln. An diesem Wall kommen wir nicht ohne hohe Verluste vorbei.«
»Und wie willst du das machen? Siehst du hier irgendwo einen festen Platz, groß genug, um alle dort unterzubringen? Weißt du, wie viele Schanzpfähle uns geblieben sind? Wie viele Spaten und Äxte?«
»Zu wenige«, mischte Vala sich ein, der sein Pferd erreicht hatte. »Arminius und Segimerus wissen genau, wo und wie sie römische Truppen auf dem Marsch empfindlich treffen, und genau das tun sie.«
Die beiden Lagerpraefecten starrten ihn wortlos an, während ein Bote Listen mit Verlustmeldungen brachte, endlose Listen. Während Vala die Aufstellungen überflog, war ihm, als griffe eine kalte Faust in seine Brust. Die Zahl der gefallenen
Centurionen und Unteroffiziere, Standartenträger und Bläser war unverhältnismäßig hoch.
»Du solltest diese beiden Namen nicht in Gegenwart des Statthalters nennen«, sagte Eggius schließlich.
»Welche Rolle spielt das noch«, erwiderte Vala, ohne von den Wachstafeln aufzusehen. »Die germanischen Hilfstruppen haben sich gemeinsam mit einigen Stammesfürsten gegen uns verschworen. Segimerus und Arminius kennen unsere Stärken und Schwächen sehr genau, und das wissen sie zu nutzen. Das Wetter arbeitet ihnen zu, die Legionen bluten aus, und Varus weiß das.« Er wies den Weg hinunter, den die Soldaten nehmen mussten. »Von hier aus sind es noch einige Meilen bis zum nächsten möglichen Lagerplatz, einer Kuppe am Rande der Moore.
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