Varus - Historischer Roman
waren Reiser und Kleinholz ausgebreitet, so viel er nur hatte finden können. Stumm nahm er Abschied von Sabinus und verließ rückwärts dessen Scheiterhaufen, entzündete Reiser an der aus Funkenschlag gewonnenen Glut, die er vorsichtig in das Reetdach steckte.
Leichter Wind fachte den Brand an, die ersten kleinen Flammen schlugen aus dem Reet, Rauch erhob sich, dunkler, schwerer Rauch, der verräterisch über dem Dach aufstieg. Annius wusste, dass er nicht warten durfte, um die letzte Glut zu löschen, er hatte ja auch nicht den Wein dafür, konnte auch nicht die Asche sammeln und bestatten. Er griff nach der Führungsleine des Maultiers, murmelte ein kurzes Gebet und drehte sich um.
Rufe gellten über die Lichtung. Er sah einen der beiden jungen Burschen wild winkend aus dem Wald rennen. Er würde ihnen nicht entkommen, weder zu Fuß noch auf dem Maultier, aber er konnte sie abwehren, weil sie unerfahren und ungeübt waren. Noch während er sich kampfbereit machte, brach der andere auf einem Pferd aus dem Unterholz. Sie stellten ihn, aber das würde ihnen nichts nutzen. Gawila schrie ihn vom Pferd herunter an, wiederholte immer wieder eine einzige kurze Frage. Warum, ja, warum hatte er das getan?
»Er ist tot«, entgegnete Annius, »und ich bestatte ihn auf diese Weise. Er hat es verdient, dass man ihm diese Ehre erweist.«
Ihre ratlosen Mienen zeigten, dass sie kaum ein Wort verstanden hatten. Sie drohten nicht mit ihren Spießen, begleiteten ihn aber, und Gawila redete unentwegt auf ihn ein, während er neben dem Maultier den Pfad zurückging, der
ihn und Sabinus hierhergeführt hatte. Als sie den breiten Weg erreichten, sprang Gawila von seinem Pferd, einem eher kleinen, stämmigen Tier. Annius dachte über einen Tausch nach, aber er wusste nicht, wie er das anbahnen sollte, als sich Gawila ihm mit ausgebreiteten Armen kopfschüttelnd in den Weg stellte.
Hufgetrappel näherte sich, Rufe und schwerer Laufschritt kamen aus der Richtung, die Gawila versperrte. Annius’ Blick flog hin und her zwischen dem tänzelnden, schnaubenden Pferd und dem Jungen, der sich in einer Geste schierer Verzweiflung an den Kopf fasste. Er hatte dem Feind geholfen, das würden sie ihn spüren lassen. Annius biss sich auf die Unterlippe, zögerte einen tiefen Atemzug lang. Die Leine des Maultiers fiel zu Boden, in zwei Sätzen war er bei dem stämmigen Pferd, sprang auf dessen ungesattelten Rücken. Das Tier bäumte sich auf, dass er Mühe hatte, nicht hinunterzurutschen. Gawila rannte auf ihn zu, langte nach den Zügeln, doch bevor die Vorderhufe wieder den Boden berührten, hieb Annius seine Fersen in die Flanken des Pferdes, das einen weiten Satz machte und im Galopp zurück in den Wald preschte.
Alles hatte er zurückgelassen, Sabinus’ Waffen und Rüstung, die Schilde; das Maultier hätte ihn nur behindert. Er hetzte das Pferd quer über die Lichtung mit der Hütte, aus der die Flammen loderten, eingehüllt in eine schwarze Rauchwolke. Das Dach war bereits eingestürzt.
XV
Auf den Mauern von Aliso brannten die Lichter wie in jeder Nacht, doch es befanden sich nur wenige Soldaten auf dem Wehrgang. In unregelmäßigen Abständen lehnten Zeltstangen an der Brustwehr, jeweils zu zweit: eine lange, die den Spähern der Barbaren wie ein Pilum vorkommen mochte, und eine auf Mannshöhe gekürzte, auf die Bälle aus Werg gespießt worden waren, manchmal auch ein Helm.
Thiudgif, die bei den Kundschaftern und Pfadfindern stand, hatte zugesehen, wie die meisten Posten beim Wachtwechsel gegen diese kümmerlichen Blendwerke ausgetauscht worden waren, aber etwas anderes stand nicht zu Gebote. Kühle Finger stahlen sich in ihre Hand, und als sie sich umdrehte, blickte sie in Suras Gesicht, auf dem ein unsicheres Lächeln lag. Sie und ihre Mutter waren ebenfalls den Kundschaftern und Pfadfindern zugeteilt worden, nachdem Thiudgif Caedicius inständig darum gebeten hatte; sie wollte die beiden um sich wissen.
Die auf dem Forum vor dem Stabsgebäude versammelten Soldaten verharrten reglos in Reih und Glied, aufgestellt für den geordneten Abmarsch. Die Hufe der Pferde und Maultiere waren mit Leder umwickelt, um die Mäuler hingen Futtersäcke; die Soldaten hatten ihre genagelten Stiefel ausgezogen, alles, was klappern oder rasseln konnte, war mit
Tuch oder Leder gepolstert. Stumme Handzeichen und die Bewegungen der Feldzeichen eröffneten den Abmarsch. Ungewöhnlich leise begann die Menschenmasse, sich in einen Wurm zu verwandeln.
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