Varus - Historischer Roman
Kameraden noch aufrecht gehalten hatte.
Die Wunde war brandig rot und stellenweise eitrig, die Umgebung stark geschwollen; als Annius sie behutsam betastete, stöhnte Sabinus auf, aber was er im Zwielicht erkannte, ließ ihn schaudern. Als hätte jemand ein Loch in Sabinus’ Körper geschlagen, klaffte die Wunde am unteren Rand des Brustkorbs. Vorsichtig reinigte er die Ränder, tupfte die klebrige Flüssigkeit ab, mied den spärlichen Schorf. Ein anständiger Medicus hätte dem Verletzten helfen können, aber Annius wagte nicht, eine derart tiefe Wunde an dieser Stelle zu brennen, zumal er auch keinen Mohnsaft hatte, um Sabinus zu betäuben, und nicht einmal einen sauberen Verband.
»Du hast mir nicht alles erzählt«, keuchte Sabinus so plötzlich, dass Annius zusammenzuckte.
»Wovon sprichst du?«
»Varus’ Tod. Warum wollte er ausgerechnet dich bei sich haben?«
»Das weiß ich doch nicht.«
»Jedenfalls nicht nur, weil er jemanden brauchte, der zuschaut.«
Ein krampfhaftes Husten schüttelte Sabinus, dessen Stöhnen schrill wurde. Annius warf sich neben ihn, hielt ihn fest, bis er ruhig wurde.
»Danke«, flüsterte Sabinus kaum hörbar, schluckte einige Male, räusperte sich zaghaft. »Wenn es kein Warum gibt, dann vielleicht ein Wozu?«
»Er befahl mir, seinen Ring, sein Schwert und einen Brief an seine Frau in Sicherheit zu bringen.«
»Aber wo …?«
Annius setzte sich auf, löste unter dem Hemd das Band seines Schurzes und fingerte den Ring hervor, griff unter den beiseitegelegten Schienenpanzer und zog die inzwischen gebrochenen, handtellergroßen Wachstafeln heraus. Sabinus machte große Augen, stemmte sich auf die Unterarme, nahm den Ring, um ihn zu betrachten und auf die Spitze seines rechten Zeigefingers zu stecken.
»Und das Schwert?«
»Das habe ich bei ihm gelassen.«
»Ich verstehe nicht …«
»Er tötete sich mit dem Dolch, den Arminius ihm geschenkt hatte. Aber diesen Triumph konnte ich dem Verräter nicht lassen. Ich habe die Waffen vertauscht.«
Sabinus gab Annius den Ring zurück und sank mit geschlossenen Augen auf den schmutzigen Mantel. Er atmete schnell und flach.
»Er war ein guter Mann, ein guter Statthalter. Diesen Verrat hatte er nicht verdient«, flüsterte er. »Das Schicksal hat es so gefügt, dass du zuerst mich getroffen hast, dann deine Kameraden von der Achtzehnten. Du wirst durchkommen, Titus Annius, glaub mir. Du musst diese Sachen nach Vetera bringen. Damit sie dem Feind nicht in die Hände fallen.«
Nachdenklich wog Annius Ring und Tafeln in den Händen, schob dann die Tafeln zurück in seinen Schienenpanzer. Als er den Ring wieder an das Band seines Schurzes knüpfte, vernahm er ein leises, schleifendes Geräusch. Das Maultier, dachte er zunächst, aber das stand auf der anderen Seite, also war es wohl der Wind. Er horchte in die Stille.
»Dich werde ich auch nach Vetera bringen«, sagte er nach einer Weile mit einer Entschlossenheit, die ihn selber überraschte.
Doch Sabinus schien ihn nicht gehört zu haben, und als Annius nach seiner Stirn tastete, glitten seine Finger auf einem dünnen Schweißfilm aus.
»Du bist ein guter Kamerad, Titus Annius, ein guter Freund, und es ehrt mich, dass ich dich bis hierher begleiten durfte. Aber den Rest des Weges musst du allein schaffen.«
Wieder schleifte etwas durchs Gras. Wenn draußen jemand herumschlich, war die Hütte wie eine Falle. Hastig löschte Annius die halb abgebrannten Späne, drückte Sabinus kurz einen Finger auf die heißen, spröden Lippen, legte sich den Panzer um und schloss mit fliegenden Fingern die Schnallen. Dann setzte er den Helm auf, wand den Gürtel mit dem Schwert um die Hüfte und griff nach dem Schild. Er holte tief Luft und schlüpfte hinaus.
Der Nachtwind sang im Tannenwald, vereinzelt raschelte aufgewirbeltes Laub. Die niedrige Pforte im Rücken, lauerte Annius hinter dem Schild und spähte ins Dunkel. Die Wipfel standen schwarz vor dem nächtlichen Himmel. Schweißfeucht lag das Heft des Schwertes in seiner Rechten.
Schemen schälten sich aus der Finsternis, blieben in sicherem Abstand. Zwei vermummte Gestalten, kurze Speere wurfbereit in den Händen. Einer zog eine Laterne hinter dem Rücken hervor, rief ihn an, verstellt, um erwachsen zu klingen, aber es war deutlich zu erkennen, dass da ein junger Bursche sprach, der kaum den Stimmbruch hinter sich hatte. Annius verstand allerdings kein Wort, selbst als der Bursche seine Frage wiederholte. Fieberhaft suchte er die
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