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Varus - Historischer Roman

Titel: Varus - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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Lichtung nach weiteren Schatten ab, doch ob sich weitere Gegner im Dunkel verbargen, war nicht zu erkennen.
    Sie waren um die Hütte geschlichen, hatten gelauscht, wussten sicherlich, dass er nicht allein war. Dennoch - sie hätten die Hütte nur anzünden müssen, sie hatten eine Laterne
bei sich, es wäre ein Leichtes gewesen. Er war ein Soldat allein in der Wildnis, ein Mann auf der Flucht, nicht nur nach den Maßstäben der Barbaren ehrlos. Und dennoch musste irgendjemand nun den ersten Schritt tun, die bedrohliche Spannung lösen.
    Langsam steckte Annius das Schwert zurück, legte beide Hände gut sichtbar auf den Rand des Schildes. Die beiden flüsterten miteinander, während die Stablaterne schwankend zwischen ihnen hing.
    »Du … Soldat?«, rief einer unversehens mit heller Stimme.
    Kurz entschlossen trat Annius einen Schritt vor. »Titus Annius, Beneficarius im Stab der Vierzehnten Legion.«
    Schweigend tauschten die beiden einen Blick, dann zuckte einer die Achseln. Sie verstanden ihn nicht. Zum ersten Mal bedauerte Annius, dass er Thiudgif zwar dabei unterstützt hatte, seine Sprache besser zu sprechen, aber kaum etwas von ihrer gelernt hatte, nur notdürftige Brocken.
    Plötzlich stießen sie ihre Wurfspieße neben sich in den Boden und näherten sich mit erhobenen Händen. Und dann geschah etwas Sonderbares: Einer der beiden begann zu reden, zu erzählen, in seiner Sprache, bebildert mit Gesten und allerlei Lautmalerei, durchsetzt mit latinischen Wörtern, gerade wie sie ihm einfielen. Er lachte sogar, und sein Gefährte fiel in das Lachen ein, und mit jedem Wort glaubte Annius mehr zu verstehen.
    Es sei die Hütte ihres Herrn, sie hüteten seine Schweine - der Junge grunzte lautstark -, sie hätten am Abend das Maultier gehört - er ahmte das jämmerliche Brüllen nach - und sich umgesehen, dabei Stimmen in der Hütte gehört. Sie hätten das Maultier weggelockt und dann überlegt, was zu tun sei. Unwillkürlich lächelte Annius über die beiden, die so
stolz waren, die Fremden überlistet zu haben, während eine Stimme in ihm zischelte, er müsse sie töten, schnell, möglichst lautlos, sie seien eine Gefahr.
    »Dein Name ist …?«, begann er zögerlich, indem er Worte aus ihrer Sprache benutzte.
    Im fahlen Schein der Laterne erkannte Annius, dass der Junge, der ihn angesprochen hatte, ihn mit offenem Mund anstarrte. Schließlich zog der Junge die Kapuze vom Kopf und stellte sich als Gawila vor, seinen Begleiter als Reda. Mühsam versuchte Annius, ihnen von Sabinus zu erzählen, der verletzt in der Hütte lag; dass er stümperte, bemerkte er daran, dass die beiden sich deutlich das Grinsen verkniffen. Als sie ihn fragten, ob er Soldat unter Varus sei, nickte er nach einigem Zögern, doch sie brachen daraufhin nicht in Jubel aus, wechselten nur Blicke des Verstehens, berieten sich, dann trat Gawila mit der Laterne näher.
    »Ihr braucht Hilfe«, sagte er schlicht. »Und Wasser.«
    Noch immer argwöhnisch ließ Annius beide Jungen eintreten und folgte ihnen. Zumindest war er sich jetzt sicher, dass niemand die Hütte in einen Scheiterhaufen verwandeln würde. Nicht solange die beiden darinnen waren.
    Im matten Schein der Laterne kauerte Gawila sich neben Sabinus und legte eine Hand auf die Stirn des Verwundeten, der von der Berührung erwachte, stöhnend zurückzuckte, aber ihm fehlte die Kraft, den Fremden von sich zu stoßen. Gawila schob den Mantel, den Annius über den Verletzten gebreitet hatte, und das halbwegs saubere Tuch beiseite, betrachtete die brandige Wunde, bevor er über die Schulter zu Annius blickte und kopfschüttelnd die Brauen zusammenzog. Geschwächt ließ Annius sich auf dem Boden nieder, zog die Knie an den Körper und barg das Gesicht in den Händen. Er hörte leises Plätschern, beruhigende Worte, die er nicht
verstand, die ihm auch nicht galten. Dazwischen Sabinus’ leises Wimmern. Nichts denken. Jeder gute Soldat wusste, wie man das machte, an nichts zu denken. Die Fingerspitzen auf die Augenlider pressen, bis die Finsternis farbigen Wolken weicht und die Augäpfel wehtun. Schließlich legte sich eine Hand auf seine Schulter.
    »Ich kann nicht helfen«, sagte Gawila. »Reda holt Wasser. Komm mit!«
    Annius folgte ihnen vor die Tür, wo Gawila auf den schwarzen Wipfel der höchsten Tanne deutete. »Dort ist Wald, dann noch eine Lichtung. Da sind wir. Brauchst du Hilfe, kommst du.«
     
    Leise säuselte der Wind durch das Reetdach der Hütte. Sabinus rang pfeifend nach Luft.

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