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Varus - Historischer Roman

Titel: Varus - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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entwand sie sich der Umklammerung.
    Schnell schwang er das Bein vor, sein Fuß stieß zwischen ihre Knie, dass sie stolperte und der Länge nach hinfiel. Als er sich neben sie kauerte, blieb sie liegen. Ihr Atem ging flach und schnell, und das Haar bedeckte in schmutzigen Strähnen ihr Gesicht. Ihre Kraft schien erlahmt. Er hob ihren mageren Körper mühelos hoch und trug sie zum Bett, wo er sie
niederlegte, ihre Arme festhielt. Tonloses Schluchzen mischte sich unter das Keuchen. Sie zitterte, hob abwehrend die Hände - es hätte aber auch eine Geste des Flehens sein können - und kniff die Augen zu.
    Annius spürte das Echo ihrer Tritte und Kratzer auf seiner Haut, und auf seinem Arm zeichnete sich ihr Biss als zwei unterbrochene dunkle Bögen ab. Er schüttelte den aufflackernden Wunsch, sie zu strafen, ab; er hatte schon weit Schlimmeres erlebt als diese harmlose Balgerei.
    »Wie heißt du?«, fragte er.
    Das Mädchen riss die Augen auf. Blau waren diese Augen im fahlen Licht, das durch die Ritzen der Fensterläden fiel, ein dünner blauer Ring um die große nachtschwarze Pupille. Umkränzt von dichten braunen Wimpern. Die Nasenflügel des Mädchens flatterten. Auf ihrer Stirn, am jetzt staubbraunen Haaransatz, reihten sich winzige Schweißperlen auf der blassen, von hellen Sommersprossen übersäten Haut. Er begriff, dass sie ihn nicht verstanden hatte. Vielleicht verstand sie überhaupt kein Latinisch.
    »Dein Name …« Mühsam formte er die fremden Laute der Barbarenmundart. »Was ist … dein Name?«
    Ihre Lippen bewegten sich zögerlich, sodass sie das Zähneklappern nicht mehr unterdrücken konnte, rundeten sich, die Zungenspitze wurde sichtbar. Sie stammelte ein paar Laute, atmete, wiederholte sie. Laute, die sein Mund zu bilden sich weigerte. Es klang dumpf. Tierisch. Er betrachtete die Schweißperlen, von denen eine sich gelöst hatte und zur Schläfe rollte, dabei andere aufsammelte. Das feine Haar war zu dunklen Strähnen verklebt, der kupferne Glanz unter Staub und Schmutz verborgen.
    »Rufilla«, murmelte Annius, und als ihre Augen flackerten, löste er seine Rechte von ihrem Arm und nahm einen
Zipfel des Lakens, um den dicken Tropfen behutsam von ihrer Schläfe zu wischen.
    »Dein Name …«, sagte er, »ich kann das nicht aussprechen. Rufilla nenne ich dich. Gut?«
    Ihr Atem flog pfeifend über ihre Lippen, aber sie gab kein Zeichen des Widerspruchs. Vorsichtig ließ er auch ihren anderen Arm los und sah sich in der Kammer um. Unweit des Bettes stand noch immer das Tablett mit dem Suppentopf, den beiden hölzernen Näpfen und Löffeln. Eigentlich war sie die Sklavin, sollte sie das Essen herrichten. Sie sollte …
    Er schüttelte den Gedanken ab. Sie war fast noch ein Kind. Er hatte sie erwürfelt, weil sie ihn gedauert hatte, das unschuldige Ding, das der schmierige Menschenhändler gewinnbringend hatte verkuppeln wollen. Langsam erhob Annius sich, nahm das Geschirr vom Boden auf und trug es zum Bett. Wie erstarrt war das Mädchen, Rufilla, liegen geblieben, während ihre Blicke jede seiner Bewegungen verfolgten. Er bemühte sich, ihre ängstliche Aufmerksamkeit nicht weiter zu beachten, während er aus dem noch warmen Topf dicke Suppe in beide Näpfe schöpfte. Düfte von Fleisch und Speck, Zwiebel und Knoblauch, von Kümmel, Liebstöckel, Koriander und Zimt breiteten sich aus. Ein Lächeln stahl sich in Annius’ Mundwinkel, als er sie schnuppern hörte.
    »Hier, iss!« Er hielt ihr einen der Näpfe hin. »Ich will das nicht umsonst besorgt haben.«

    Missmutig verließ Caldus das Stabsgebäude und winkte die beiden Soldaten, die ihn begleiteten, heran, bevor er auf seinen Goldfuchs sprang. Wie immer hatte man ihm Männer aus Einheiten zugeteilt, die als Leibgarde des Stabes dienten, hochgewachsene, vierschrötige Kerle barbarischer Abstammung,
in deren Begleitung er sich vorkam wie ein Knabe. Heimliche Blicke waren ihm sicher; er wusste längst, dass man über ihn spottete, weil ihn alle anderen Offiziere, sogar die jüngeren, überragten. Erst recht die Soldaten der germanischen Hilfstruppen, zu denen er an diesem Tag geschickt wurde.
    »Damit du etwas lernst«, hatte der Legat zum Abschied augenzwinkernd gesagt. Caldus war gegangen, ohne etwas auf den faden Scherz zu erwidern. Er hatte sich den Auftrag schließlich selbst zuzuschreiben.
    Schon bevor er den Übungsplatz unterhalb des Lagers erreichte, hörte er das Stampfen Hunderter genagelter Sohlen auf festgetretenem Lehm, unterbrochen vom

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