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Varus - Historischer Roman

Titel: Varus - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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zwischen den Tagesmärschen noch genug Zeit.
    Genüsslich verspeiste er die ihm dargereichten Speisen, pries sich glücklich, einen tüchtigen Koch zu haben. Zum Abschluss nahm er ein wenig aufgeschnittenes Obst und Honigkuchen, bevor er sich die Hände wusch und seinen Leibsklaven herbeiklatschte. Diocles erschien in der Tür, hinter ihm ein Junge, der die teure Tunica aus goldbestickter, dunkelblauer Baumwolle trug und die frisch gebürsteten roten Stiefel. Der ältliche Sklave schnippte den Knaben voraus und
näherte sich seinem Herrn gemessenen Schrittes, wischte prüfend über den weich fließenden Stoff der Tunica und legte Vala einen ebenso dunklen kurzen Mantel um.
    »Herr, du wirst erwartet«, murmelte Diocles dicht an Valas Ohr.
    Vala hob die Brauen. »Ist es derselbe Mann, der vor ein paar Tagen um ein Gespräch bat?«
    Stumm nickend schloss der Sklave die Fibel an Valas Schulter und zupfte dann den Umhang zurecht.
    »Sagte ich nicht deutlich, dass ich keine geheimen Gespräche mit mir unbekannten Männern führe, Diocles?«
    »Das sagtest du, Herr. Sehr deutlich.«
    »Und dennoch lässt du den Mann ein weiteres Mal ein?«
    »Er wies mich darauf hin, du seist dem Tode geweiht -«
    »Und zahllose andere ebenfalls, ich erinnere mich.« Unwirsch winkte Vala ab. »Meine Erkundigungen ergaben, dass die gemutmaßte Verschwörung völliger Unsinn ist. Schick ihn weg! Ich verschwende meine Zeit nicht mit unnützem Geschwätz!«
    Der alte Sklave verneigte sich so formvollendet vor seinem Herrn, dass dieser auf das verächtliche Schnauben, mit dem er Diocles hatte fortschicken wollen, verzichtete und ihm stattdessen nur mit einem leichten Kopfschütteln nachschaute.
    »Was steht ihr hier herum?«, blaffte er die zurückgebliebenen Diener an. »Schafft das Zeug raus und sorgt dafür, dass die Wache bereitsteht, damit ich endlich gehen kann!«

    Die zehnte Stunde war angebrochen. Annius streckte sich ein wenig, rollte die Schultern und rieb sich den schmerzenden Nacken.

    »Du willst mir doch nicht weismachen, dass du seit mehr als zehn Tagen dieses Mädchen dein Eigen nennst und sie einfach nur in einem Kämmerchen einsperrst?«, flüsterte Sabinus, der hinter ihm saß.
    Annius tat, als hätte er nichts gehört. Er beugte sich wieder über die große Tafel auf seinen Knien und vervollständigte die Prüfung der Bestandslisten für Lebensmittel anhand kleinerer Tafeln, die er in der Linken hielt. Neben seinem Platz türmten sich Tafeln in unterschiedlich hohen Stapeln. Sein Körper war völlig verkrampft und die Augen brannten. Dem Stabsoffizier, der ihn am Morgen für diese Aufgabe ausgeguckt hatte, wünschte Annius nichts Geringeres als eine zehrende Seuche an den Hals. Oder schlimmen Durchfall, verbesserte er sich grinsend, als er das unterdrückte Stöhnen eines anderen Schreibers hörte, der sich auf seinem Schemel krümmte. Eines Tages würde er nicht mehr nur Gerichtsverhandlungen aufzeichnen und Listen führen, sondern - sein Herz machte einen winzigen Satz bei diesem Gedanken - vielleicht sogar Schreibarbeiten für den Statthalter erledigen.
    Sabinus’ leisen Zuruf beachtete er ebenso wenig wie den sachten Stoß; das ärgerliche Schnauben, das der andere Gefreite von sich gab, entlockte ihm ein Schmunzeln.
    »Komm schon!«, brummte Sabinus. »Warum erzählst du nie etwas? Ist sie so ein Fehlkauf?«
    Den Griffel zwischen den Fingern drehend, starrte Annius das dunkle Wachs an. Noch diese beiden Listen, dann war sein Tagwerk getan. Er kniff die Augen zusammen, richtete den Blick auf die endlosen Kolonnen winziger Zeichen; Buchstaben und Zahlen wechselten sich ab. Zahlen hasste er, mal waren es feine dünne Strichlein, mal tiefe Furchen, und die Berichtigungen, die immer wieder vorgenommen
worden waren, machten die Sache nicht leichter. Er hob den Abacus vom Boden auf, schob, ohne recht hinzusehen, die Kugeln herum und notierte das Ergebnis. Die riesigen Mengen an Getreide und Wein, Speck, Käse und anderen Dingen, die nötig waren, um drei Legionen und einige Hilfstruppen bei Laune zu halten, erstaunten ihn immer wieder.
    Nachdem er die letzten Einträge vorgenommen hatte, klappte er die Tafeln zusammen und packte seine Utensilien in eine kleine Ledertasche. Er stand auf, tippte Sabinus auf die Schulter, der ihm mit einer winzigen Geste zu verstehen gab, dass auch er bald fertig sei. Mit federnden Schritten näherte Annius sich der Theke, legte die kleinen Tafeln auf den Stapel für den Löschdienst und

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