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Varus - Historischer Roman

Titel: Varus - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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steifbeinig bewegte.
    »Bist du verletzt?«, fragte er, eingedenk seiner eigenen Verwundung.
    »Ich habe fünf Tage im Sattel verbracht«, erklärte Caldus, »und das bekommt mir nicht.«
    »Marschieren scheint bequemer zu sein«, erwiderte Annius, und sie lachten gemeinsam, was ihm guttat. Doch die Wirkung verflog, sobald sie wieder verstummten und schweigend die Straße hinuntergingen, Annius einen halben Schritt hinter dem Tribun.
    Beklommen hatte Annius das Zelt des Tribuns betreten und saß nun auf einem gepolsterten Klappsessel, eingewickelt in eine Decke, und drehte in seinen Händen einen Silberkelch. Das sanfte Licht der Öllampen am Kandelaber ließ den Wein golden funkeln. Sooft Caldus seinen Becher an die Lippen setzte, nahm auch Annius einen Schluck von dem sü ßen, leicht geharzten Trunk, einem wirklich köstlichen Tropfen. Seitdem sie zusammensaßen und tranken, hatten sie nur wenige Worte gewechselt; das gemeinsame Schweigen, das Caldus offenbar wohltat, bereitete Annius Unbehagen. Unentwegt kreisten seine Gedanken um das Bild des erschöpften, hilflosen Mädchens, das sich krampfhaft selbst umarmte. Die Erinnerung wärmte ihn, aber sogleich hallten ihre Worte in seinen Ohren wider, ihre ängstliche Offenbarung. Die Sache beunruhigte ihn. Hastig nahm er einen großen Schluck aus seinem Becher und fühlte sich danach ein wenig benebelt. Er wusste, dass er die Sache melden musste, aber wie? Und wem?
    Er sah den Tribun an, der ihm freundlich zulächelte. Darüber reden, als ginge es um einen anderen … Annius’ Finger
trommelten leicht auf dem Becher herum, während er sich überlegte, wie er ausdrücken könnte, was ihn umtrieb, ohne zu verraten, dass es ihn umtrieb.
    »Was würdest du einem Mann raten, der von einer Sache erfahren hat, die er unweigerlich melden müsste …« Seine Stimme erstarb unter dem Blick des Tribuns, der eine Braue hob und lächelte.
    »Was bedrückt dich?«
    »Es geht um … um einen Freund. Einen sehr guten Freund …«
    »Du hast mir in einer jämmerlichen Stunde beigestanden, und heute kann ich mich erkenntlich zeigen. Also was bedrückt dich?«
    Wieder rannten Annius’ Finger über das Silber des Bechers, drehten ihn, fast wäre er gekippt. Gerade noch rechtzeitig fing er ihn auf. Er lehnte sich mit einem tiefen Atemzug zurück. »Ich habe demjenigen, der mir diese Sache erzählte, bei allem, was mir heilig ist, geschworen, dass ich es nicht weitererzähle und ihn nicht verrate.«
    »Bevor er es erzählt hat?«, fragte Caldus, und als Annius das stumm bestätigte, runzelte er die Stirn. »Dann kann es sich eigentlich nur um einen Sklaven oder Freigelassenen handeln, der fürchtet, dass man ihn foltert, um die Wahrheit festzustellen.«
    »Das tut nichts zur Sache. Ich vertraue diesem Menschen, und mich beunruhigt, was er gesehen hat«, entgegnete Annius, und nach Caldus’ aufmunterndem Wink fuhr er fort: »Vor etwa fünfzehn Tagen brachten zwei Soldaten und ein Offizier einen dritten Soldaten ans Ufer des Flusses unterhalb unseres Lagers. Sie verprügelten ihn, beschimpften ihn als Verräter und ersäuften ihn dann im Fluss, wo sie die Leiche versteckten.«

    Der Tribun pfiff durch die Zähne. »Und dein Zeuge?«
    »Befand sich in der Nähe, hatte sich im Gestrüpp versteckt und beobachtete die Tat.«
    »Und was haben sie gesagt?«
    »Genau weiß ich es nicht. Sie sollen eine barbarische Mundart gesprochen haben, die der Cherusker.«
    Caldus stellte den Becher ab, rieb sich Kinn und Wangen und musterte Annius so aufmerksam, dass diesem mulmig wurde.
    »Dein Zeuge ist eine Frau, eine Einheimische, Titus Annius. Und ich weiß nicht, ob man der Aussage einer Hure -«
    »Sie ist keine Hure!«
    Kaum heraus waren die Worte bereits bereut. Annius biss sich schmerzhaft auf die Unterlippe und schlug die Augen nieder. Scham brannte auf seinen Wangen.
    »Aber eine Sklavin, weil sie glaubt, die Folter fürchten zu müssen«, erwiderte Caldus. »Auch wenn ich nicht zu denen gehöre, die den Aussagen von Sklaven grundsätzlich misstrauen, wäre es mir lieber, zu wissen, wer dir das erzählt hat.«
    Schweigend saß Annius auf dem Klappsessel, zupfte Fusseln aus der Decke und rollte sie zu einer kleinen, pelzigen Kugel. Er hatte das Mädchen verraten. Er hatte ihr ein Versprechen gegeben und dieses Versprechen bei der ersten Gelegenheit gebrochen. Er stellte den Becher auf einem Tischchen ab, schob die Decke von den Knien und stand auf. »Ich werde gehen. Ich -«
    »So nicht, mein

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