Varus - Historischer Roman
immer gegessen, was ich dir in die Herberge gebracht habe, nicht wahr?«
»Das war anders!«
»War es nicht. Dieses Gewürz ist eigentlich in allem, was wir essen.« Ihre angewiderte Miene erheiterte ihn. »Glaub mir, es stört dich nur, weil du gesehen hast, dass sie es hineingeträufelt hat.«
Mit plötzlicher Entschlossenheit fasste sie den Löffel und schob ihn in den Mund, kaute, schluckte, löffelte weiter, schweigend und wie ein aufgezogenes Spielzeug. Wie sie so neben ihm saß, an einen Sack gelehnt, und aß, kamen ihm ihre Worte in den Sinn, ihr karger Bericht. Die Angst schien jetzt tief in ihr zu schlummern, doch aus eigener Erfahrung wusste er, dass Angst nur einen leichten Schlaf hat und bei jeder Gelegenheit emporbricht wie Flammen aus einem zur Unzeit aufgebrochenen Rennofen. Mit einer Fingerspitze strich er sacht über ihre Wange, einmal, zweimal, spürte das
Gewicht ihres Kopfes, als sie sich ihm zuneigte, um den Napf abzusetzen. Sie hätte ein Bad gebrauchen können, doch unter all dem Schweiß und Schmutz atmete ihre Haut einen feinen Duft aus, der wie ein leiser, aber unüberhörbarer Wohlklang in der Luft schwebte. Sie schlang die Arme um ihren Leib, schob dabei ihre Brüste zusammen, dass sie sich deutlicher abzeichneten unter Hemd und Kittel. Langsam hob sie den Kopf, blickte ihn an aus ihren hellen Augen, schien nicht zu bemerken, dass seine Wangen glühten und er gepresst atmete. Annius zog die Hand zurück, an die sich ihre Wange schmiegte, und griff nach seinem Napf, um den Rest der Suppe in seinen Mund zu schaufeln.
Er sprang vom Wagen, nahm die beiden Gefäße, und erst als er weggehen wollte und den Ausdruck von Leere in ihren Zügen las, wurde ihm klar, wie schroff das wirkte. Die Brust wurde ihm eng, als er daran dachte, wie hart ihn als jungen Rekruten die grausame Behandlung angegangen war, die prügelnden Ausbilder, die Schlägereien in den Tabernen, bei denen mancher Hitzkopf zum Dolch griff. Und wie hartnäckig ihn noch heute die Erinnerung an die Kämpfe heimsuchte, das heillose Durcheinander, wenn eine Schlachtreihe brach, Schreie, Wimmern, zertrampelte Körper, die Bilder suchten ihn immer wieder heim.
»Ich komme wieder und sehe nach dir«, sagte er, ohne sie anzusehen. »Bis dahin … Gib auf dich acht!«
Rasch wandte er sich zur Feuerstelle, wo er das Geschirr zurückließ, und hastete zum Lagertor, ohne sich ein einziges Mal umzudrehen. Viel Zeit blieb ihm nicht mehr, wie ein Blick auf den rotgoldenen Lichtschein, der zwischen den Wolken im Westen aufblitzte, verriet.
Als einer der Letzten schlüpfte Annius durch das Tor, ehe der Wachwechsel durchgeführt wurde; eine Verspätung hätte
ihn für einige Tage der Privilegien eines Gefreiten beraubt, und ihm lag wenig daran, nach einem anstrengenden Tagesmarsch schanzen und Wache stehen zu müssen. Die Erleichterung hielt nicht vor; wieder trübte die Sorge um das Mädchen seine Gedanken, kroch die Erinnerung an das Erlebnis, das sie ihm geschildert hatte, in ihm hoch, während er die belebte Querstraße des Lagers entlangtrabte, die Gassen zwischen den Zeltreihen zu zählen versuchte und den Gruß des einen oder anderen Kameraden, der ihm bekannt war, fahrig erwiderte. Unversehens prallte er gegen einen anderen Mann und erschrak, als er den jungen senatorischen Tribun der Achtzehnten Legion erkannte.
»Gaius Caelius … ich bitte um Verzeihung! Ich habe dich nicht bemerkt.«
»Der Sohn des Weinhändlers!« Caldus lachte leise. »So schickt Mercurius dich in meinen Weg, nachdem ich sieben Tage habe verstreichen lassen, ohne dir meinen Dank auszusprechen. Das, Titus Annius, ist unverzeihlich!«
Annius staunte, dass der Tribun sich noch an seinen Namen erinnern konnte, immerhin war der junge Mann an jenem Abend angetrunken gewesen, und die Namen ihrer Untergebenen merkten hochrangige Offiziere sich ohnehin nur selten.
»Ich möchte mich erkenntlich zeigen und dich zu einem guten Schluck in mein Zelt einladen«, fügte der Tribun hinzu.
Zögernd stand Annius vor ihm, in seinen Ohren klang die Bitte des Mädchens, ihr Geheimnis zu wahren, sie nicht zu verraten, übertönt von der mahnenden Stimme, die ihm sagte, dass er dieses Geheimnis nicht für sich behalten dürfe.
Caldus musterte ihn erwartungsvoll; diese Einladung abzulehnen, käme einer anmaßenden Beleidigung gleich, die
Annius nicht wagte, und so nickte er wortlos und folgte dem Tribun zu dessen Quartier. Dabei bemerkte er, dass Caldus sich auffallend
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