Varus - Historischer Roman
sah er das Mädchen an und atmete dabei angestrengt.
»Es tut mir leid«, murmelte sie.
»Was ist damals geschehen?«, presste er hervor.
»Ich hab deine Sachen gewaschen und zum Trocknen ausgelegt, dann bin ich ein Stück flussaufwärts gegangen. Ich wollte ein Bad nehmen.« Sie senkte den Kopf, um die Röte zu verbergen, die ihre Wangen auch im tiefen Schatten noch lebhaft färbte, und für einen Augenblick schlug Annius’ Herz schneller. »Ich war kaum fertig damit, da kamen ein paar
Männer. Soldaten. Drei Soldaten und ein Offizier. Zwei der Soldaten hielten den dritten fest. Sie redeten miteinander. In der Mundart der Cherusker. Und dann haben sie den dritten verprügelt, in den Fluss geworfen und …«
Sie sah elend aus. Wieder spürte Annius die Wärme, doch er verdrängte den Wunsch, sie in die Arme zu schließen. »Was taten sie dann?«
Das Mädchen entzog ihm eine Hand, um sich die Augen abzuwischen. »Sie drückten ihn unter Wasser, hielten ihn fest. Bis er sich nicht mehr bewegte.« Ein Schniefen unterbrach ihren Bericht. »Danach haben sie ihn mit Ästen dort festgemacht. Im Wasser.«
Ihre Stimme erstickte, sie wandte sich ab und barg das Gesicht in einer Hand. Ihre Schultern zuckten. Annius drückte die Hand, die er hielt, und bemühte sich, seinem Blick Aufmunterung zu verleihen; es schien ihm abwegig, ihre Schulter zu tätscheln oder sie kurz an sich zu drücken, wie er es bei einem Kameraden getan hätte.
»Weißt du, worum es ging?«, fragte er, eigentlich nur um sein Schweigen zu beenden.
Sie schaute ihn aus großen Augen an. »Sie haben ihr Opfer Verräter genannt. Sie sagten, er habe mit einem … Ich weiß das Wort nicht in deiner Sprache … Ein Raubtier, ein kleines Raubtier, das Blut trinkt.«
Verwirrt ließ Annius ihre Hand los. »Meinst du Marder? Wiesel?«
Sie zuckte die Achseln, weinte. »Ich weiß es nicht. Ich weiß doch nicht, welche Tiere du meinst!«
Zögernd strich er über ihren Arm, wiederholte die Berührung, als sie sich nicht zurückzog.
»Ich bin ein dummes Ding.«
Sie putzte sich an einem Stofffetzen vernehmlich die Nase,
was erneut eine warme Welle in seine Brust spülte. Lächelnd wischte er eine Strähne aus ihrer Stirn und freute sich, als sie dieses Lächeln, wenn auch ein wenig matt, erwiderte. Ein leiser Ruf ertönte, und als Annius sich umwandte, bemerkte er, dass Amra aufgestanden war und ihm zwei dampfende Holznäpfe anbot.
»Wir werden zu unseren Leuten gehen, um gemeinsam zu beten«, sagte sie, nachdem Annius die beiden gut gefüllten Gefäße, in denen hölzerne Löffel steckten, entgegengenommen hatte. »Bitte sorge dafür, dass sie etwas isst, Titus Annius. Sie muss morgen stark sein.« Dann raffte sie ihren Mantel und ging mit ihrer Tochter davon, während Annius zum Wagen zurückkehrte, wo er die beiden Näpfe abstellte und sich auf die rückwärtige Ladefläche setzte. Das Mädchen hatte sich in seine Decke verkrochen und runzelte die Stirn.
»Amra schickt dich damit, nicht wahr?«
Nickend rührte er in der dicken, milchigen Suppe, die nach Kümmel, Koriander und Cumin duftete und in der neben dem gequollenen Schrot Bohnen und Möhrenstücke schwammen. Er kostete von der Löffelspitze, schob dann den zweiten Napf näher zu ihr.
»Ich will das nicht«, murmelte sie und schlang die Arme um die Knie. »Ich bin nicht hungrig.«
»Du brauchst Kraft für den Weg«, drängte er. »Also stell dich nicht an, sondern iss!«
Er konnte den Widerwillen sehen, der ihre Bewegungen hemmte, als sie nach dem Napf tastete. Ihre Finger schlossen sich fest darum, aber sie hielt das Gefäß weit von sich und wandte sich halb ab.
»Was stört dich?« Er schob einen weiteren Löffel Suppe in den Mund, schmeckte darin noch Zwiebel und Lauch und
bemerkte, dass zwar genügend Salz, aber kein Fleisch oder Speck darin war.
»Sie tut etwas hinein, das ich nicht mag. Riechst du es nicht?«
»Was meinst du?«
»Da ist etwas Ekliges drin, etwas Fauliges. Sie bewahrt es in einem kleinen Tonfläschchen auf.«
Annius hielt seine Nase in den Dampf und schnupperte, roch die Gemüse und Gewürze, den gesäuerten Milchrahm, der die Suppe eindickte, einen Hauch Garum … Er hielt inne. Garum. Es war die Fischsoße, die sie störte.
»Man schmeckt es gar nicht«, beschwichtigte er.
»Es ist eklig! Es stinkt wie verdorbener Fisch!«
Langsam stellte er seinen halb geleerten Napf ab, denn Sabinus wartete sicherlich noch mit einer kleinen Mahlzeit auf ihn. »Du hast doch
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