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Varus - Historischer Roman

Titel: Varus - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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Karren hinweg. Das Marschlager.
Jemand hatte das Marschlager gesichtet. Sie würden ausruhen, sich hinlegen. Schlafen. Thiudgif taumelte, tastete halb blind nach der Rückwand des Karrens. Ihre Zehen brannten. Sie war wieder gegen einen Stein gestoßen. Pfeifend zog sie die Luft zwischen den Zähnen ein. Weitergehen.
    Sie hob den Kopf und erschrak, als sie die beiden Männer erkannte, die an ihr vorbeieilten. Hastig zog sie die Kapuze tiefer in die Stirn und beeilte sich, den Karren zwischen sich selbst und die Kerle, die sie vorhin festgehalten hatten, zu bringen. Was die beiden gesagt hatten, machte ihr Angst. Wenn da ein Zusammenhang bestünde … Sie schluckte. Sie musste mit Annius reden, sie musste ihm endlich erzählen, was sie gesehen hatte.

    Im Laufschritt erreichte Annius die kleine Wagenburg außerhalb des Marschlagers und blickte sich suchend um, während er durch die Reihen der Karren und Maultiere trabte. Ihm blieb nicht viel Zeit bis zum Beginn der ersten Nachtwache; obwohl er als Gefreiter von Schanzarbeiten und Wachdiensten befreit war, musste er die Nacht über innerhalb von Graben und Wall bleiben, um nicht empfindliche Strafen zu gewärtigen. Dennoch wollte er wenigstens am Abend des fünften Tages dieses Marsches nach dem Mädchen sehen.
    Er entdeckte den Wagen eingekeilt zwischen zwei anderen, ohne Zugtier, das wohl zur Weide geführt worden war. An einer winzigen Herdstelle saßen zwei Frauen, fest eingewickelt in ihre Umhänge; ihre ganze Aufmerksamkeit schien dem irdenen Topf zu gelten, der in der Glut stand. Erst als Annius bei ihnen stehen blieb, hob eine von ihnen den Kopf, und er blickte in Amras dunkle Augen. Sie beugte den Nacken zum Gruß und wies auf den Wagen.

    Das schlechte Wetter und der aufgeweichte, kalte Boden zwang die Reisenden, ihr Nachtlager ins Innere des Fahrzeugs, unter die lederne Plane, zu verlegen. Daher fand er das Mädchen eingeknäuelt zwischen Kisten, Säcken und Taschen, und nur ihr strähniger, nassdunkler Haarschopf lugte aus den muffigen Decken hervor. Auf dem tagelangen Marsch hatte auch sie sich nur notdürftig waschen können, und die Kleider waren schmutzig geworden. Am gleichmä ßigen Heben und Senken der Decke erkannte er, dass sie schlief, und das Bild erfüllte seine Brust mit unerwarteter, aber willkommener Wärme. Behutsam legte er eine Hand auf die Decke, wo er ihre Schulter vermutete. Sie fuhr mit einem erstickten Schrei hoch, schlang notdürftig die Decke um sich und starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an. Beschwichtigend hob er die Hände. Sie sank langsam in sich zusammen, legte die Stirn auf die Knie und schwieg.
    »Es tut mir leid, ich wollte dich nicht ängstigen«, sagte er leise.
    »Es ist gut«, flüsterte sie, ohne aufzuschauen. »Ich bin erschöpft. Ich kann nichts essen. Ich will schlafen.«
    Er überlegte, ob er sich auf den Karren setzen sollte, blieb dann jedoch einfach stehen, um ihr Unbehagen nicht noch zu steigern. Ihr Gesicht verzog sich zu einem dünnen Lächeln.
    »Danke, dass du gekommen bist. Ich fürchtete schon, du hättest mich vergessen.«
    Ein Lächeln stahl sich in Annius’ Mundwinkel, und er schüttelte sacht den Kopf. »Sorge dich nicht. In den letzten Tagen bin ich vor Beginn der Nachtwache nie fertig geworden, und ich darf vom Dienst nicht einfach weglaufen.«
    Ihre Züge verhärteten sich, während sie an der Unterlippe
nagte und ihr Blick unruhig umherflog, bevor er sich fest auf ihn richtete.
    »Ich muss dir etwas … erzählen. Bitte versprich mir, dass du es niemandem sagst!«
    Verwundert nickte er. Thiudgif beugte sich vor, ergriff seine Rechte, umklammerte sie mit beiden Händen. »Versprich es mir! Bei allem, was dir heilig ist! Beim Leben deiner Mutter!«
    »Rufilla … was soll das denn Geheimnisvolles sein?«
    »Ich habe einen Mord gesehen!«, platzte sie heraus.
    Annius stutzte, stand einige Atemzüge lang reglos da, seine Rechte noch immer in ihren Händen, die nun kräftig zudrückten. Ihre Augen glitzerten im Zwielicht unter der Plane. Eindringlich starrte sie ihn an.
    »Was sagst du?«, fragte er in der Hoffnung, sich verhört zu haben.
    »Ich habe einen Mord gesehen. An dem Tag, als ich deine Wäsche am Visurgis vergaß.« Sie biss sich auf die Lippen. »Ich habe die Sachen nicht vergessen. Ich bin weggelaufen, weil ich Angst um mein Leben hatte.«
    Annius’ Finger und Wangen erkalteten, seine Linke umschloss ihre Hände, er öffnete den Mund, aber kein Wort kam über seine Lippen. Stumm

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