Varus - Historischer Roman
Strafe traf ihn zu Recht. Langsam nickte er.
»Ich rede mit Vala«, sagte Ceionius. »Wenn du Einsicht zeigst, wird er von weiteren Befehlen dieser Art absehen. Und jetzt geh wieder auf deinen Posten, Tribun!«
Vor dem Graben des Marschlagers wurden die Maultiere mit Stroh abgerieben, gefüttert und getränkt. Caldus befühlte die linke Hinterhand des Goldfuchses, die ein wenig geschwollen war. Der Hengst setzte den Huf nur mit der Spitze auf und zitterte, als Caldus die wunde Stelle berührte. Das Sprunggelenk war überlastet, die Sehne hart wie ein straff gespanntes Seil. Caldus gab dem Pferdeburschen einen Wink, den Goldfuchs zu übernehmen. Während er dem Tier nachblickte, bahnte sich ein Mann seinen Weg durch die geschäftig umhergehenden Menschen. Caldus erkannte den Sohn des Weinhändlers aus Tarraco, der in ehrerbietigem Abstand stehen blieb, um zu grüßen.
»Was treibst du hier?«, fragte Caldus. »Als Stabsschreiber hast du doch jetzt genug zu tun.«
»Heute nicht«, erwiderte Titus Annius hastig; er war au ßer Atem, und es schien, als wollte er sich schnellstmöglich davonmachen.
»Hast du etwas dagegen, wenn ich dich begleite, Titus Annius?«
Der Gefreite stutzte und schüttelte zögernd den Kopf. »Das steht mir nicht zu.«
»Dann tun wir halt so, als würdest du mich begleiten.«
Sie gingen nebeneinander her, während Annius sichtlich Ausschau hielt. Seinen verhaltenen Schritten und seinem häufigen Straucheln merkte Caldus an, dass er den ganzen Tag marschiert war. Schließlich gab der Gefreite ihm ein Zeichen zu warten und trabte auf einen Karren zu, neben dem ein Maultier graste. Zwei tiefverschleierte Frauen bemühten sich um ein kleines, mit Feldsteinen umgebenes Feuer. Irdene Töpfe standen bereit, Vorratsbeutel und ein Wasserkrug. An der Rückseite des Karrens stand eine weitere Frau, aus deren Kopftuch nassdunkle Strähnen hingen.
»Rufilla?«, rief Annius, und sie drehte sich um. Die beiden anderen blickten auf, erhoben und verneigten sich, was Caldus hier und jetzt unerwartet peinlich berührte. Dass die dritte Frau - eigentlich ein junges Mädchen, wie er an dem frischen Gesicht unter dem Kopftuch erkannte - weniger ehrerbietig war, tat ihm überraschend wohl. Sie schlang den Umhang, einen verschlissenen Soldatenmantel, enger um die Schultern und blieb abwartend stehen. Caldus sah auffallend helle Augen unter einer hohen runden Stirn, die schmalen Nasenflügel bebten unter dem schweren Atem. Es war kein wirklich hübsches Gesicht, aber ein lebhaftes, trotz der sichtlichen Erschöpfung. Als Annius ihn vorstellte, bemerkte Caldus, dass dessen Stimme ein wenig belegt klang, als wäre er leicht erkältet. Das Mädchen beugte eilig Knie und Nacken, und ihre Hände wischten ziellos über den Stoff ihres Kleides. Scheu und frisch, wie die kleinen Bauernmädchen in den Weilern bei seines Vaters Landgut, auch wenn sie älter war und blasser. Die stumpfen Strähnen, die unter dem straff gebundenen Kopftuch herausgerutscht waren, verrieten einen matten Kupferton.
Ein Hauch von Zuneigung ließ ihn lächeln, kein Begehren,
dafür war sie zu schlicht, zu scheu und vor allem zu mager. Er begriff, warum Annius sie schützte. Sie war beileibe kein Kind mehr, sondern ein Mädchen im mannbaren Alter; wäre sie eine Freie, hätten Vater oder Vormund längst einen Bräutigam ausgewählt, um sie ihm anzuvertrauen. Als Sklavin war sie angewiesen auf die Fürsorge eines Herrn.
Caldus beobachtete den Stabsschreiber, der leise mit dem Mädchen sprach. Sie antwortete fast flüsternd, langsam, stockend, Latinisch schien ihr noch fremd, denn Caldus verstand sie kaum. Annius mochte sie gekauft haben, doch er behandelte sie, als wäre sie eine jüngere Verwandte. Schließlich verabschiedete er sich, sie verbeugte sich erneut und huschte hinter den Wagen.
»Sie fürchtet sich vor dir«, entschuldigte Annius das Verhalten des Mädchens, als sie sich auf den Weg zum Marschlager machten.
»Was kaum verwunderlich ist«, erwiderte Caldus schmunzelnd.
Schweigend ging Annius mit leicht gesenktem Kopf neben Caldus her. Ringsum bereiteten Menschen ihre Nachtlager und nahmen an kleinen Lagerfeuern ihr Abendessen ein. Das also war die Zeugin, die Annius zu schützen versuchte. Voreilig, so schalt Caldus sich, hatte er seine Schlüsse gezogen aus dem, was er von Annius erfahren hatte. Er zweifelte nicht daran, dass das Mädchen etwas gesehen hatte, aber sie hatte sich wohl ihren eigenen Reim darauf gemacht. So wie
Weitere Kostenlose Bücher