Varus - Historischer Roman
das Gelände und spürten die Kundschafter immer wieder auf. Es hatte etliche Tote gegeben. Gute Männer. Ceionius räusperte sich. Der Statthalter erschien ihm wie gelähmt, nachdem er hatte erkennen müssen, dass ihn ausgerechnet diejenigen unter den einheimischen Offizieren, die er zu den treuesten gerechnet hatte, schimpflich verraten und einen Aufstand angezettelt
hatten. Dieser Marsch geriet zu einer schmachvollen Niederlage, daran bestand kein Zweifel mehr. Sie würden sich auf die Standlager und Posten entlang der Lupia zurückziehen und von dort aus im kommenden Jahr mit frischen Kräften den Landstrich, den sie gerade an Aufständische zu verlieren drohten, zurückerobern.
Wie von einer jähen Böe erfasst, raschelte das Laub des Waldes, doch kein Wind strich über Ceionius’ Wangen; stattdessen hörte er ein Sirren, als wären Hunderte von Bienenvölkern in Aufruhr geraten. Er blickte nach oben, wo ein dunkler Schwarm die Wolken verfinsterte. Ihm stockte der Atem.
»In Deckung!«, schrie der Gefreite neben ihm und zerrte ihn hinter eine Schildwand, die augenblicklich über ihnen zusammenbrach. Die Bläser riefen zu den Waffen, als der tödliche Hagel auf das Lager herabprasselte. Ein weiteres Sirren warnte vor der nächsten Salve, zugleich brach im Lager hörbar das Chaos aus. Kaum ließ das Rattern der herabfallenden Pfeile nach, riss Ceionius sich los und kroch unter den Schilden hervor. Zwischen den Zelten rannten die Soldaten umher, hielten die Schilde über ihre Köpfe und sammelten sich auf den Hauptwegen und entlang der Wälle. Befehle gellten über den Platz, die Einheiten am Hauptweg setzten sich in Bewegung, einige in Richtung der Tore, andere sicherten die Stabszelte im Herzen des Lagers. Immer neue Pfeilsalven sausten herab. Die Aussicht, verlustig gegangene Waffen auf diese Weise ersetzen zu können, entlockte Ceionius ein bitteres Grinsen. Bis er die fliegenden Lichter bemerkte.
Wie ein Regen von Sternschnuppen senkten sich Brandpfeile ins Lager. Ihr Ziel waren die Zelte im Herzen des Lagers, deren Dächer zwar aus Leder bestanden, die Wände jedoch oft aus Leinwand. Alles war feucht, das würde schwere
Brände verhindern, dennoch waren einige Einheiten bald damit beschäftigt, kleine Brandherde zu löschen, und eines der Zelte ging ganz in Flammen auf. Eines, das ganz in der Nähe des Quartiers des Statthalters stand.
Ceionius eilte den Wall hinunter; er musste einen weiten Umweg laufen, und der Schild, den er schützend über sich hielt, behinderte ihn. Wieder prasselten Pfeile herab. Als Ceionius sich unter dem Schild duckte, ertönte hinter ihm ein Aufschrei. Einer seiner Begleiter krümmte sich vor Schmerz am Boden, strampelte, um Halt zu finden. Ein Geschoss ragte aus seiner Flanke. Ein anderer Mann eilte zu ihm, beugte sich mit seinem Schild schützend über ihn.
Damit durfte Ceionius sich nicht aufhalten, er hastete weiter, bestätigte vorüberrennenden Centurionen und Unteroffizieren deren Befehle, die Tore zu sichern, die Wälle und die Zelte des Stabes. Dann hörte er die Stimmen. Hilferufe. Sie kamen vom Haupttor, durch das schreiende Menschen hereinströmten wie ein Wasserschwall durch einen gebrochenen Damm.
Ceionius verspürte eine lähmende Kälte in den Gliedern. Wenn die Frauen ihre Habseligkeiten zurückließen, dann hatte der Angriff weniger dem Lager gegolten als ihnen. Er machte kehrt, kämpfte sich schnaufend den Wall hinauf, wobei die Last der Jahre an ihm zerrte, jede seiner Bewegungen hemmte. Über dem Kamm leuchtete Feuerschein, hallten ferne Schreie und das Brüllen der Maultiere, noch bevor er die zitternden Lichter sah, Fackeln, die zwischen den Bäumen verschwanden. Helle Flammen loderten aus den Trümmern der verlassenen Wagen. Schnell reichten lange Reihen von Männern Wassereimer weiter, bewacht von schwer bewaffneten Soldaten, die einen Ring um den Brandherd bildeten. Doch der Waldrand stand schwarz und stumm. Der
Spuk war ebenso schnell vorübergegangen, wie er begonnen hatte.
»Sie haben Frauen und Kinder geholt!«, rief einer der Posten. Er kniete hinter einer Schildwand, beugte sich über einen anderen, der ausgestreckt auf dem Boden lag, wie schlafend, ohrfeigte ihn leicht. »Er wollte ihnen nach. Wir mussten ihn …«
Nickend drehte Ceionius sich um, beinahe wäre er gegen die Gefreiten geprallt, die ihm nachgerannt waren. Im Lager herrschte ein kaum beschreibbares Durcheinander. Eine Menschenmenge wälzte sich über die Hauptstraße wie ein
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