Varus - Historischer Roman
vor.
Hastig wischte er sich die Nässe von der Stirn. »Rufilla, diese beiden sind meine Zeugen und deine Zeugen … Du bist frei.«
Sie stolperte rückwärts, der Atem stockte ihr in der Kehle. Ungläubig starrte sie ihn an. Die schwarzen Bartstoppeln stachen von der ungewohnten Blässe seiner Haut ab, und unter seinen Augen zeichneten sich dunkle Flecken und scharfe Linien
ab. Er suchte ihren Blick. »Du bist frei«, wiederholte er, »und von jetzt an ist dein Name Annia Rufilla.«
Der Mann links neben ihm, den er als Sabinus vorgestellt hatte, eilte mit langen Schritten zu einem der Feuer und kehrte zurück, in der Hand ein Stück glimmendes Holz. Er fingerte etwas Dunkles aus dem Beutel und hielt es an die Glut, die er im Schutz der tief ins Gesicht gezogenen Kapuze mit seinem Atem anfachte. Annius hielt ihr die Tafeln hin, dunkles Wachs im hellen Rahmen, durchzogen von Reihen enger, steiler Zeichen, die sie an Soldatenkolonnen erinnerten. »Das hier ist meine Willenserklärung, Caldus und Sabinus haben sie beglaubigt«, fuhr er fort.
Zwischen den Fingern der Linken klemmte etwas, das wie ein Stück zusammengelegter, sehr steifer Stoff aussah. Papyrus, erkannte sie. Er klappte das Stück geschickt auf, das ebenfalls bedeckt war mit Reihen von Zeichen, mit seiner Schrift. »Das ist ein Brief an meine Eltern in Tarraco. Darin bitte ich sie, die Überbringerin in ihrem Hause aufzunehmen, als wäre sie ihre Tochter.«
»Titus …«
Sein Blick ließ sie verstummen. Wie ein gehetztes Tier starrte er sie an. »Lass mich ausreden.« Er verstaute den Papyrus zwischen den zusammengeklappten Tafeln und band diese mit Schnüren zusammen. Aus Sabinus’ Hand nahm er das aufgewärmte dunkle Ding, drückte es auf die Mitte der vorderen Tafel und presste dann seinen Ring mit dem geschnitzten Stein darauf. Seine leicht verzerrte Miene verriet, dass er sich am heißen Wachs verbrannte.
Als er ihr die zusammengeschnürten und versiegelten Tafeln reichte, zögerte sie. »Was … wird nun mit mir?«
»Ich habe versprochen, dich zu deinem Vater zurückzubringen, aber ich darf hier nicht weg.« Er machte einen kleinen
Schritt auf sie zu. »Wenn wir getrennt werden, wenn mir etwas zustößt, können diese Dinge dich retten. Versuch, den Weg zu deinem Zuhause zu finden. Und wenn … wenn dort kein Bleiben für dich ist, dann versuch, dich über den Fluss zu retten nach Vetera, zur Ubierstadt, irgendwohin in der Gallia. Dieser Brief«, er tippte hart auf die Tafeln in ihren Händen, »schenkt dir eine neue Familie, ganz gleich, was mit mir geschieht. Meine Eltern werden sich meinem Wunsch nicht widersetzen. Sie sind gute Menschen.«
Wie betäubt hörte sie seine Worte, verstand sie erst allmählich. »Gute Menschen«, murmelte sie, und wieder stieg ihr ein Kloß in den Hals. Hastig stopfte sie die Tafeln unter ihren Gürtel, legte die Hände um seine kratzigen Wangen, zog sein Gesicht dicht an ihres. Sein Atem flog warm über ihre Wangen.
»Lass den Tod nicht in deine Gedanken!«, flüsterte sie, bevor sie ihren Mund auf seine Lippen drückte.
Er rührte sich nicht. Sie spürte die spitzen Stoppeln und löste sich von ihm, da schlang er die Arme um sie, drückte ihren Kopf an seine Schulter, sodass ihr Gesicht sich in seine Halsbeuge schmiegte. Der Geruch von Schweiß, Leder und Wolle stieg ihr in die Nase, und darunter nahm sie etwas wahr, das ihr vertraut war und lieb. Ihre Augen brannten, heiß stahl es sich ihre Wangen hinunter und versickerte im Halssaum seiner Tunica. Sie schniefte, schluckte, unterdrückte das Schluchzen, indem sie die Fäuste ballte und gegen seine Brust presste.
»Was immer geschieht, du findest einen Weg«, stieß er heiser hervor - sie spürte es mehr, als dass sie es hörte.
Mit aller Kraft stemmte sie sich gegen seine Umarmung, schaute ihn an, erkannte die Strapazen der vergangenen Tage ebenso wie die Spuren, die erlebte Gräuel in seinen
Zügen hinterlassen hatten. Die feinen Linien in seinem Gesicht waren verhärtet, seine Lippen kaum noch sichtbar. Seine Hände legten sich um ihre Schultern, drückten sie sacht. Dann griff er an seine Seite, schob den Gürtel herum, nestelte an den Riemen, mit denen die Dolchscheide daran befestigt war, nahm sie ab und drückte ihr die Waffe in die Hand.
»Ich muss zurückgehen.«
»Lass den Tod nicht in deine Gedanken!«, murmelte sie nochmals, als er sich umdrehte und mit den beiden anderen davonging. Ein Windstoß fegte ihr einen Schwall Regentropfen
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