Varus - Historischer Roman
Gerichtsschreiber absitzen.«
Caldus nahm die Zügel, umfasste die Sattelhörnchen, hob den linken Fuß und blickte den Soldaten, der ihm das Pferd gebracht hatte, auffordernd an. Annius schob den Mann beiseite, beugte sich mit verschränkten Händen vor, sodass der Offizier seinen Fuß hineinstellen und sich in den Sattel schwingen konnte.
»Nimm das Mädchen zur Frau«, sagte Caldus. »Sie tut dir gut. Zeuge ein paar Kinder, sie werden nach deiner Dienstzeit in die Bürgerlisten eingetragen werden. Es ist vielleicht nicht das, was dein Vater sich vorgestellt hat, aber ich glaube nicht, dass du es besser treffen könntest.«
Er bemerkte den nachdenklichen Zug im Gesicht des Gefreiten, die Härte war gemildert, in den Augen lag ein matter Glanz.
»Ob sie etwas gegen ein paar Jahre südlicher Sonne einzuwenden
hat?«, setzte Caldus nach. »Ich werde einen guten Schreiber brauchen können.«
Rasch passierte Caldus auf seinem Braunen die Reihen der Praetorianer, den schweren Reisewagen, in dem Varus’ kostbarstes Gepäck und die Soldkasse befördert wurden, und die Leibgarde, die auf kräftigen Pferden mit klirrenden Geschirren zu allen Seiten des Statthalters ritt. Endlich erreichte er Varus, der auf seinem Schimmel und mit dem weißen, rot und golden bestickten Mantel weithin zu erkennen war. Caldus ordnete die Schleife des Purpurbandes um seine Brust und wischte nochmals die Hände an der Tunica ab. Viel half es nicht, stellte er mit einem Seufzen fest, als sein Pferd neben dem des Varus in einen forschen Schritt fiel.
»Wie sieht es aus?«, fragte Varus nach kurzer Begrüßung, ohne den Blick vom Weg zu heben.
Caldus stutzte. Das konnte nicht der Grund sein, weshalb der Statthalter ihn von seinem Platz an der Spitze der Achtzehnten hatte rufen lassen.
»Ich kann dir nichts Neues berichten, Publius Quinctilius«, erwiderte er vorsichtig.
»Soll heißen, der Heereszug reißt immer wieder auseinander, die Angriffe der Aufständischen kosten uns hohe Verluste, die Himmlischen sind gegen uns oder haben der Macht der von den Barbaren angerufenen Furien nichts entgegenzusetzen …« Varus hob den freien Arm in einer hilflosen Geste, dann sah er Caldus unvermittelt an. »Sag mir, Gaius Caelius, warum zieht man die wirklich wichtigen Lehren immer erst, wenn es zu spät ist?«
Verblüfft starrte Caldus den Statthalter an, brachte keinen Ton heraus. Eine Weile waren nur der Hufschlag und das Klappern und Rasseln der Rüstungen zu hören, und Varus
richtete den Blick wieder auf den Weg, der vor ihnen lag. Caldus tat es ihm nach, spähte jedoch immer wieder aus dem Augenwinkel vorsichtig nach dem Statthalter.
»Nehmen wir zum Beispiel unsere Tribunen senatorischen Ranges, diese unerfahrenen Ehrgeizlinge bester Abkunft, denen nach Vorvätersitte schon als Lehrlingen ein hoher Rang zusteht«, fuhr Varus fort. »Mein Neffe Asprenas plagt sich mit einigen dieser Nichtsnutze, von denen nur ein einziger Begabung zeigt, der aber zugleich überheblich ist bis ins Mark. Ich hingegen habe einen vortrefflichen und vorbildlichen jungen Mann von bester Abkunft, gescheit, tapfer, wenn auch ein bisschen vorlaut - aber vorlaut zu sein ist nun einmal das Vorrecht der Jugend. Und dennoch habe ich alter Narr ihn nicht einmal angehört!«
Caldus hielt den Atem an, wagte keine Regung, während der Statthalter die Mähne seines Schimmels zauste. Es war ein anderer Schimmel, den Caldus noch nicht kannte, und im Stillen fragte er sich, wie viele weiße Pferde Varus wohl besitzen mochte, dass sie ihm nie ausgingen.
Plötzlich drehte Varus sich um, und Caldus sah sich genötigt, den Blick zu erwidern, mit dem der Statthalter ihn bedachte.
»Ich würde gerne wissen, was du jetzt tun würdest, wenn du in diesen Stiefeln stecken würdest.« Varus tippte nachlässig auf seinen Oberschenkel. »Aber das wäre wahrhaftig zu viel verlangt. Ich werde diese Vorfälle ausführlich dokumentieren müssen, wie du weißt, Gaius Caelius. In diesen Berichten werde ich deine Ermittlungen und deine Bemühungen würdigen und mein Verschulden eingestehen, dich nicht angehört zu haben. Das sollte ausreichen, dass dir der erlittene Schaden ersetzt und ein angemessener Posten zugeteilt wird.«
Während Caldus noch nach Worten suchte, um seinen Dank auszudrücken, sprach Varus bereits von den nutzlosen Aussagen der Auguren, auf die man leider Rücksicht nehmen müsse, weil die Soldaten abergläubisch seien, und nun sei er selbst diesem Gewäsch aufgesessen,
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