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Varus - Historischer Roman

Titel: Varus - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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regneten
auf die Feinde hinab. Annius fluchte, als er sich und Thiudgif von der Last der Schilde befreite, und beförderte die verstümmelte Hand mit einem schnellen Tritt den Hang hinunter. Doch zu spät, denn Thiudgif kauerte bereits wie versteinert neben ihm und starrte auf etwas, das kaum zwei Schritt entfernt lag, rund, teils bedeckt von langen verfilzten Haaren. Annius hielt ihr hastig die Augen zu, aber sie schüttelte ihn ab und sprang auf. Blickte ihn aus weit aufgerissenen Augen an.
    »Wer … tut so etwas?«, stammelte sie.
    Hilflos zuckte Annius die Schultern. Eine Bucina schallte durch die Nacht. Wachwechsel. Annius wandte sich nach seinen Kameraden um. Sie nahmen Haltung an, während im Lager die Unruhe wuchs. Viele gingen umher, sammelten unter Wehklagen die Überreste der zerstückelten Leichen ein. Wachmannschaften bahnten sich ihren Weg durch die Menge, die auf der Hauptstraße zusammengelaufen war, und an der Spitze seines Stabes erschien nun auch Varus auf seinem weithin leuchtenden Schimmel, offenkundig in der Hoffnung, wenn er sich zeigte, könnte das ein wenig Zuversicht wecken.
    Als vier Legionäre nach kurzer gegenseitiger Meldung ihren Posten übernahmen, rückten Annius und seine Kameraden ab. Er suchte Thiudgifs Blick, doch sie stand stumm da, der Umhang war von ihren Schultern gerutscht, und ihre zerzausten Zöpfe hingen schwer herab.
    »Bring sie hinunter«, sagte Blaesus. »Bring sie irgendwohin in Sicherheit. In diesem Durcheinander merkt niemand, dass du weg bist, und wenn jemand fragt, fällt mir schon etwas ein.«
    Annius zögerte, dann nahm er Thiudgifs Arm und führte sie behutsam den Wall hinunter, an dessen Fuß er sich von
seinen Kameraden trennte. Er strich dem Mädchen ein paar wirre Strähnen aus dem Gesicht, doch sie ließ den Kopf hängen, und als er sie fragte, wo Amra sei, wohin er sie bringen solle, erhielt er nur ein stummes Achselzucken zur Antwort. Er legte den Finger unter ihr Kinn, brachte sie dazu, ihn anzusehen. Sie wisse es nicht mehr, flüsterte sie, sie sei einfach immer weiter gelaufen und habe nach ihm gefragt, bis sie ihn gefunden habe. Verdrossen zog Annius sie zum Haupttor, bog dann in den noch immer belebten Hauptweg ein, der bis zu den Stabszelten längs durch das Lager führte. Thiudgif schaute ihn kurz an, nickte und folgte dem Weg, ging um die Ansammlung der Stabszelte herum. Dass sie im hinteren Teil des Lagers untergebracht waren, hätte er sich denken können, aber die Enge, in der die Menschen dort saßen und lagen, nur durch Decken und Planen geschützt, machte ihn betroffen. Vereinzelt glommen kleine Feuer, verhärmte Frauengesichter blickten zu ihm auf, große Kinderaugen schimmerten im Dunkel, während sie über Bündel und ausgestreckte Beine hinwegstiegen. Er hörte unterdrücktes Geflüster, leises Weinen, zerschnitten vom Schreien eines hungrigen Säuglings. Retten können hatten sie nur ihr Leben.
    Jemand rief sie an, eine dunkle Stimme. Thiudgif wandte sich um. Sie deutete auf die verschleierte Frau und das Mädchen an ihrer Seite, ein mattes Lächeln hellte ihre Züge auf.
    »Wenn ihr morgen das Lager verlasst«, sagte Annius, »richte deinen Blick zumindest während der ersten tausend Doppelschritte auf irgendetwas, das du den ganzen Weg vor Augen hast. Auf den Rücken deines Vordermanns, die Schweifrübe des Mulis - irgendetwas, aber schau nicht nach rechts und nicht nach links, ganz gleich, was geschieht. Versprichst du mir das?«
    »Warum?«

    Annius zog die Brauen zusammen und nagte an der Unterlippe, aber er antwortete nicht.
    »Sag mir, hast du solche Kämpfe schon einmal erlebt?«, fragte sie scheu.
    »Solche nicht«, erwiderte er. »Aber ich weiß, mit welchen Mitteln die Aufständischen früher gekämpft haben. Und wer ihnen das befahl.«
    Ihre Augen wurden groß in dem schmalen Gesicht, doch sie nickte nur schweigend, drehte sich um und ging auf unsicheren Beinen durch die murmelnde Menschenmenge davon.

    Angewidert blickte Caldus in das trübe Wasser, bevor er seine Hände eintauchte, um sich etwas ins Gesicht zu spritzen. Er besaß kein einziges sauberes Tuch mehr, um sich abzuwischen, und rieb sich die Augen, bis er das Gefühl hatte, ein wenig wacher zu sein, während einzelne Tropfen von seinem Kinn in die Schüssel fielen. Im Wasser bildeten sich rötlich braune Schlieren. Die Angreifer hatten sich zurückgezogen wie eine Welle, die sich auf dem Strand ausgelaufen hatte und ins Meer zurückgezogen wurde. Von einer

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