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Varus - Historischer Roman

Titel: Varus - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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weiterer Befehl, laut tönte das Horn, und die Reiter sprengten mit einem langgezogenen Brüllen davon, um sich auf die Angreifer zu werfen.
    Krampfhaft umklammerte Thiudgif durch Kittel und Hemd die Tafeln in dem schützenden Beutel. Deutlich spürte sie die kleine Siegelkapsel. Annius. Wo war er jetzt? Die Legionen marschierten hinter ihnen, weil der Rest des Trosses das letzte Schanzzeug beförderte. Darauf hatten es die Angreifer abgesehen. Sie wandte sich Amra zu, die ihre zitternde Tochter an sich drückte und ihr die Augen zuhielt, während sie gebannt den Weg hinaufstarrte, ohne das ohrenbetäubende Gefecht zu beachten.
    »Statilius ist da vorn«, sagte sie, kaum hörbar. »Ich muss zu ihm.«
    »Nicht jetzt!«, entgegnete Thiudgif und legte die Hand auf Amras Arm, als ein Knacken sie aufhorchen ließ. Sie schaute sich um. Bunte Schatten huschten zwischen den Baumstämmen
umher. Das waren keine Männer, keine Krieger, das waren Flüchtige. Frauen. Sie drückte Amras Arm. »Wir sind nicht allein.«
    »Statilius ist da vorn!«, schrie Amra, die herumgefahren war und sie anfunkelte.
    Sofort hielten die Schatten inne. Wie gelähmt kauerte Thiudgif da, atmete heftig, zu kurz, zu schnell. Sie ballte die Fäuste, bis sich die Fingernägel schmerzhaft in ihre Hände bohrten. Die Schatten huschten weiter.
    »Wenn du sterben willst«, flüsterte sie mühsam, »dann nimm deine Tochter und geh da hinunter. Dann siehst du, was sie deiner Tochter und dir alles antun, bevor sie euch töten - falls sie euch töten!«
    Amra hielt Sura fest umschlungen, blickte abwechselnd den Weg hinunter, dann auf ihr Kind, schwieg jedoch.
    »Rette euer Kind!«, drängte Thiudgif; sie berührte die Frau an der Schulter, leicht nur, doch Amra zuckte zusammen wie unter einem Schlag. Eine weitere Welle brüllender Barbaren warf sich von den Sümpfen jenseits des Weges her in das Gefecht. Sura weinte und klammerte sich an ihre Mutter, die plötzlich den Kopf in den Nacken warf, in den Augen dunkle Entschlossenheit.
    »Wir suchen uns ein Versteck«, sagte sie, »und wenn es ruhig wird, kehren wir zurück. Und wenn es zu lange dauert, suchen wir uns einen Weg zu den Legionen.«
    Sie zog ihr Kind auf die Füße, spähte zum Hang, wo noch immer einige Schatten unter den Bäumen hinaufhasteten.
    »Aber mit den schlechten Weibern gehen wir nicht!«, fügte sie finster hinzu.
    »Wir haben keine Wahl, Amra. Wenn die ein Versteck finden, werden wir uns anschließen müssen.«
    »Wir würden es teuer bezahlen, uns ihnen anzuschlie
ßen«, entgegnete Amra und schob Sura vor sich her den Hang hinauf.
    Thiudgif folgte ihr, setzte Fuß vor Fuß, erst langsam, dann schneller. Sie ließ den Kampf hinter sich, aber auch Annius. Er hatte ihr geholfen. Er hatte ihr immer geholfen. Sie musste ihn wiederfinden, koste es, was es wolle.

X
    L aufen, nicht denken. Einen Fuß vor den anderen setzen. Gleichmäßig atmen. Den Blick auf den Schild des Vordermanns gerichtet, trabte Annius bergab, ergab sich dem Takt der Schritte, dem Rasseln der Rüstungen, den Stimmen der Kameraden, die mit jedem Schritt einen dumpfen Ruf ausstießen. Links, links, links. Der Schild, den er sich wie alle anderen auf den Rücken geschnallt hatte, zwang ihn, sich aufrecht zu halten, die Schwertscheide pendelte gegen seinen Oberschenkel, und unter dem breiten Lederriemen, der den Schwertarm schützte, pochte das Blut.
    Nicht denken. Eingefügt in die Reihen der Ersten Centuria, auf seinem Platz zwischen Blaesus und Venicius, schickte Annius ein letztes Gebet an die Himmlischen. An Iupiter, der ihnen beistehen möge, den heimtückischen Angriff zurückzuschlagen; an Mars, der ihnen die Kraft und den Mut geben möge, den Feind niederzuwerfen. Und dann überfiel sie ihn doch, die Sorge um das Mädchen. Lippen und Zunge formten den seltsamen Namen - Thiudgif. Sie war da vorn, im überfallenen Tross, den Wilden, die schon bewiesen hatten, wozu sie fähig waren, schutzlos ausgeliefert. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, und in seinem Leib breitete sich ein Gefühl aus, das er zuletzt als halber Knabe empfunden hatte, damals, als er seinem Vater eröffnete, dass er die jüngste
Tochter des Nachbarn heiraten werde, und der Vater das mit einem Lächeln abgelehnt, jeden Umgang verboten hatte. Nicht die leiseste Ahnung von seinem Ansinnen hatte die Schöne gehabt, an deren Gesicht er sich nicht mehr erinnern konnte, nur noch an ihren Namen und die atemberaubende Bewegung, mit der sie jeden Morgen den

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