Vater. Mörder. Kind: Roman (German Edition)
auf die Nase herab, und der Gitarrist entlockt seinem Instrument ein verzerrtes Geschepper, das auch nicht schöner wird, als das Schlagzeug dazukommt. Dieser Krach läutet aber nun den Beginn des Festes ein. Die Turnhalle füllt sich.
Laura entdecke ich sofort. Sie trägt eine himmelblaue Caprihose und ein T-Shirt mit der Aufschrift » GOD IS A WOMAN «, in riesigen Lettern. Zusammen mit einem Kollegen von Mitte dreißig hüpft sie als Erste vor der Band herum, die nun unerträglich aufdreht, während der Sänger so übertrieben heiser, wie sein Hormonhaushalt es nur zulässt, »Ye-e-e-e-eah!« und »Ye-e-e-eeaaaah-eahhh!« ins Mikrofon grölt.
Laura und ihr Kollege schaffen es, die Mädels mit ihren Vorhangponys und den Handtäschchen aus glänzendem Plastik und sogar ein paar Jungs mit gruseligen Heavy-Metal-Shirts auf die Tanzfläche zu locken. Den größten Widerstand leisten die Eltern. Und ich kann sie verstehen. Wenn man vor fünfzehn Jahren ein Kind in die Welt gesetzt hat, wie Elisa und ich damals, mag man nicht bis zum Morgengrauen zu Nirvana Pogo tanzen. Obwohl ich endlose Nachmittage Zeit hatte, ihre Songs auswendig zu lernen. Elisa hätte sie viel zu düster gefunden, und auch ich kann nicht behaupten, dass ich sie liebe, nur weil mein Zellengenosse nichts anderes hörte. Immer noch besser allerdings, als sechs Jahre mit einem Fan von Gigi D’Alessio abzusitzen.
Hinter Tüchern versteckte Bilderrahmen hängen an den Wänden. Es sind mindestens fünfzehn Stück, notdürftig an Sprossenwände und Kletterstangen montiert. Auch die Skulpturen sind noch verhüllt und stehen auf Bänken und Stühlen aus irgendeinem staubigen Lager. Hinter einem dieser Tücher verbirgt sich das Werk meiner Tochter. Aber das ist noch nicht alles. Irgendwo in diesem Gewusel von Jugendlichen, die sich in Grüppchen herumschubsen und wechselseitig abdrängen wie in einem riesigen menschlichen Autoskooter, befindet sich auch meine Tochter selbst.
»Ye-e-e-e-eah!« und »Ye-e-e-e-eaaaah-eahhh!«
»I love you, I’m not gonna crack.«
Tausendmal habe ich das Lied gehört, und erst jetzt merke ich, dass ich den Text auswendig kenne.
»I miss you, I’m not gonna crack«, trällere ich vor mich hin, um nicht weiter aufzufallen.
Ich kann Caterina nicht sehen. Dafür sieht mich Laura.
Auf der Stelle verlasse ich die Turnhalle.
Sie folgt mir, eine Zigarettenschachtel in der Hand.
»Zwei Monate lang kam ich jeden Dienstag und Freitag her und habe auf dieser Bank mein Brötchen gegessen.«
Wir sitzen im Schatten der Pinien. Die Bank ist immer noch unversehrt, weder bekritzelt noch eingeritzt. Als hätte meine Anwesenheit sie verschont oder zu einem verwunschenen Ort gemacht, dem man besser fernblieb. Endlich zündet Laura sich die Zigarette an.
»Was zum Teufel denkst du dir eigentlich dabei?«
Ich nehme Hut und Brille ab.
»Steht mir das etwa nicht?«
»Spiel nicht den Idioten. Du musst verschwinden.«
»Und warum?«
»Weil du hier nichts verloren hast.«
»Ob die beiden Ärsche auch kommen?«
»Vergiss es, Flavio.«
»Furio«, korrigiere ich sie und gratuliere ihr, dass sie auf die andere Seite gewechselt ist. Auf die Seite der Aufpasser, die meine Tochter zehn Jahre lang weggesperrt haben.
»Dabei kennst du die beiden mittlerweile doch gut genug«, sage ich. »Eine arme Frustrierte, die dafür zahlt, sich von jungen Kerlen bumsen zu lassen, und ein Verrückter, der mit einem Skalpell in der Tasche herumläuft, weil er mir die Kehle durchschneiden will. Und denen hat das Gericht meine Tochter zugesprochen!«
Laura springt auf, stößt den Rauch aus ihren zusammengepressten Lippen, klemmt sich die Zigarette zwischen die Fingerspitzen.
»Nein, Furio. «
»Nein?«
»Nein. Du hast sie ihnen überlassen. Als du ihre Mutter zu Tode geprügelt hast.«
Ich folge ihr die Hundertmeterbahn entlang und über den gelblichen Rasen.
»Verstehe. Du hast ihnen alles erzählt, stimmt’s? Du hast den beiden Arschlöchern erzählt, dass ihr Vater, dieses abscheuliche Monster, seine Tentakel nach ihr ausgestreckt hat! Bravo! Schließlich war es ja deine Pflicht, diesen teuflischen Plan zu vereiteln.«
Sie verschränkt die Arme und legt einen Schritt zu, sagt aber kein Wort.
»Weißt du was? Wollen wir doch mal sehen, ob die ehrenwerte Koryphäe ihr Versprechen hält. Ob der große Dottor Mariano Domini besser ist als ich. Wenn dieser fromme Christ mir die Kehle durchschneiden will, soll er es doch ruhig hier vor allen tun, auch
Weitere Kostenlose Bücher