Vater. Mörder. Kind: Roman (German Edition)
mich immer nur ›die beiden Schwulen‹.«
»Sehr originell.«
»Fehlt Augusto dir?«
»Und wie. Du hast ja keine Ahnung, was für Schuldgefühle ich habe.«
»Weil du ihn nicht vom Alkohol abgebracht hast?«
»Nein. Weil ich nicht kapiert habe, dass es ihn auch nicht gerettet hätte, die Bilanzen wieder in Ordnung zu kriegen. Augusto hat an dem Tag aufgehört zu leben, als wir diesen Schund mit den etruskischen Jungfrauen drucken mussten.«
Du wolltest dich damit herausreden, in gutem Glauben gehandelt zu haben.
»Hör doch auf, du hattest den Schinken nicht einmal aufgeschlagen.« Seine Augen blitzten dich durch die Brille an.
»Für mich machte es keinen Unterschied, ob ich in einer Druckerei oder in einer Airbag-Fabrik arbeite«, erklärtest du. »Ich hätte nicht gedacht, dass Bücher für jemanden Leben oder Tod bedeuten könnten.«
»Du hast es erfasst. Und dir? Wer fehlt dir am meisten?«
»Ist das deine Art und Weise zu fragen, ob ich bereue?«
»So direkt wollte ich nicht sein.«
Die Gefängniswache gab dir ein Zeichen. Gemäß Artikel 21 konntest du dich einigermaßen frei auf der Insel bewegen, aber wenn das Patrouillenboot ablegte, hattest du nichts mehr auf der Mole zu suchen.
»In den letzten Jahren habe ich, glaube ich, etwas verstanden«, konntest du gerade noch antworten, während der Wind sich für die Nacht in die Bucht mit dem kleinen Hafen zurückzog. Walter klappte den Kragen seines Sakkos hoch, du schautest so weit nach unten wie möglich und sprachst so leise, als sollten nur er und die Insel dich hören.
»An dem Tag, als ich Elisa kennenlernte, habe ich angefangen, sie zu töten.«
Das Land hinter dem Meer fehlte dir überhaupt nicht. An klaren Tagen erinnerten dich die Apuanischen Alpen daran, dass es eine Küste gab, ansonsten bestand deine Welt aus sonnenverbrannten Abhängen, aus der Stille rings um den keuchenden Traktor und aus verrosteten Fenstergittern.
Dir fehlte nichts, außer Caterina.
Nicht einmal zwei Zeilen oder ein Foto ließen sie dir zukommen. Deine Tochter war das eigentliche Hirngespinst deiner Tage. Ein Gesicht, das sich ständig veränderte, mit immer neuen Zügen. Wie konnte es sein, dass sie gar nicht nach dir fragte? Die Rache der Dominis war erbarmungslos, und du wusstest nur zu gut, dass dich Caterina bis zu ihrem achtzehnten Geburtstag nicht allein und aus eigenem Antrieb besuchen dürfte.
Durch den Straferlass kamst du jedoch schon vorher raus.
40
I ch bin Furio Guerri. Das Monster.
Und Caterina Guerri ist meine Tochter. Daran kann niemand etwas ändern, weder das Gericht noch Mariano Domini mit seinem Scheißskalpell.
Ich zupfe mir die Ponysträhnen in die Stirn, biege die Krempe meines Strohhuts nach oben und betrachte mich durch die schwarze Kunststoffbrille im Rückspiegel. Vielleicht hätte ich das Ziegenbärtchen etwas breiter lassen sollen, aber mit dem karierten Hemd und der schwarzen Leinentasche dürfte ich locker als Doppelgänger von Walter durchgehen.
Ich parke meinen Spider an der Mauer vor dem Bahndamm. An den verkohlten Wohnwagen erinnert nur noch eine Pfütze, die schwärzer ist als der Asphalt.
Ich laufe an den drei Wohnblöcken aus Backstein vorbei. Hinter dem Supermarkt, zwischen dem dornigen Gestrüpp dort, kleckert der neue Straßenbelag aus wie eine wiederbelebte und erneut aufgegebene Idee. Hier beginnt der dunkelrote Zaun. Dahinter Klötze aus grobem Stahlbeton mit schwarzen Fensterrahmen aus Aluminium, von der Mai-Sonne mit strahlenden Splittern übersät.
Auf dem größten Gebäude, zwischen der italienischen Flagge und den Fenstern im ersten Stock, prangt der Schriftzug »Istituto Comprensivo Guglielmo Marconi«. Ebenfalls in knalligem Rot. Aber das kann auch an der Mai-Sonne liegen.
In der geräumigen Eingangshalle herrscht das rege Treiben eines Ameisenhaufens.
Genau zehn Uhr.
Es ist Samstagmorgen, viele Eltern sind schon da. Mit meinem urban-intellektuellen Schick falle ich auf, aber dann klingelt es zum Pausenende, und ich gehe auf den Sportplatz hinaus und gleich weiter in die Turnhalle.
Auf der Bühne spielt sich die Band ein. Die vier Jungs wirken steif wie Kleiderständer und heften den Blick auf ihre ausgelatschten Sneakers, aus denen strahlend weiße Schnürsenkel baumeln. Die große Mattglastür, die auf den Sportplatz hinausführt, ist geschlossen, und obwohl die Turnhalle eine hohe Decke hat, staut sich unter der Seilnetzkonstruktion die Luft wie in einem Ballon.
Dem Sänger hängen die Haare
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