Vater Mond und seine Kinder (German Edition)
heulende Wölfe jagten die Treppe hinauf und warfen sich mit ihrem Gewicht gegen die Tür. Sie hatten sie gewittert. „Ich bin noch nicht fertig, nur noch zwei Zeilen.“ Hastige Schritte näherten sich, die Türklinke wurde herunter gedrückt, wutschnaubende Stimmen ertönten und laute Befehle wurden gebrüllt. Kurz darauf setzte ein Hämmern und Poltern ein, dass die Tür in ihren Angeln erbebte und erzitterte. Sie klappte das Buch zu, ließ es aber auf dem Lesepult liegen. Zum Zurückstellen war keine Zeit mehr. Die Tür krachte schon bedenklich und konnte jeden Augenblick aus den Fugen brechen. Das Holz splitterte. In panischer Eile stürzte sie zur Turmluke, zwängte sich hindurch, breitete die Schwingen aus, und flüchtete zurück in den Wald. In letzter Sekunde verbarg sie sich im dichten Geäst einer Kastanie. Aufgebrachtes Geschrei, wütendes Gekläffe, Wolfsgeheul und bösartiges Rabengekrächze verfolgten sie. Einige Raben stiegen auf und kamen ihr bedrohlich nahe. Wie versteinert hockte sie auf dem Ast, starr vor Angst. Sie musste überleben.
Ein Eichhörnchen, das in seinem Kobel saß, so nennt man die Höhle, wurde durch den Lärm aufgeschreckt. Neugierig streckte es sein Köpfchen mit den Pinselohren aus dem Nest und sah die Not der Eule. Vor Aufregung stieß es ein schnalzendes Geräusch aus, das sich anhörte wie „tjuck tjuck tjuck“ und machte damit Eulalia auf sich aufmerksam. „Rosso“, so hieß das Eichhörnchen, weil es ein dunkelrotes Fell hatte, sprang geräuschlos zu ihr hinüber und wies auf eine leerstehende Baumhöhle. „Ich“ keckerte es, lenke die Raben ab, während du dich versteckst. Ohne sich weiter aufzuhalten, lief Rosso auf eine Astspitze, holte Schwung und sprang in den nächste Baumgipfel, wobei es heftig Lärm machte. Die Raben, die durch das dichte Geäst nicht sehen konnten, wer da herum hopste, stießen angriffslustig durch die Zweige und sahen nur noch einen buschigen Schwanz zum nächsten Baum segeln.
Enttäuscht, dass ihre Suche keinen Erfolg gehabt hatte, brachen die Raben die Suche ab und flogen heimwärts. Rosso eilte zurück, kratzte mit seinen Vorderkrallen an die Baumhöhle, wobei es ein leises „wuck, wuck“ ausstieß. Ganz behutsam zog sich Eulalia aus dem für sie viel zu engen Bau heraus, darauf bedacht, ihre Flügel nicht zu verletzen. Rosso schaute sie fragend an und keckerte: „Was machst du um die Morgenstunde hier im Wald? Und dann kommst du auch noch vom Zauberschloss, weißt du nicht, dass das gefährlich ist?“ „Das ist eine lange Geschichte, die ich dir ein anderes Mal erzähle. Jetzt muss ich mich sputen, nach Hause zu kommen, die Sonne geht gleich auf. Tausend Dank für deine Hilfe – bis bald.“ Eulalia schüttelte ihr Federkleid zurecht und flatterte ab. Missbilligend schnalzte Rosso mit der Zunge und sah ungläubig hinter Eulalia her. Es hätte gern mehr erfahren.
Purpurnes Sonnenlicht drang bereits über die Berggipfel, als Eulalia in ihrer Eulenburg anlangte und dort sofort mit einem erleichterten Seufzer in ihr weiches Bett sank. Bevor sie die Augen zuklappte, galten ihre letzten Gedanken dem Zauberschloss. Leise murmelte sie: „Da muss ich unbedingt noch mal hin!“ und dann schlief sie ein.
Die Zaubernacht
Lasst uns ein bisschen nach Draußen gehen“, schlug Winzig vor, sonst verpassen wir möglicherweise die Rückkehr von Eulalia. Sie traten vor die Höhle und es schien, als sei rings um sie herum alles erstarrt. Kein Lüftchen regte sich. Die Natur hielt den Atem an und schien auf etwas zu warten. Mit größter Behutsamkeit rückten sie an die Felskante heran und spähten gebannt nach unten.
„Horcht“, flüsterte Winzig. Aus der Ferne klangen fremdartige Melodien zu ihnen herüber. Äste knackten unter den Schritten vieler Schuhe, Raben krächzten und Wölfe heulten schauerlich. In Zickzacklinien huschte ein Lichtschein durch den Wald in Richtung Zauberwiese. Die Sieben wurden immer aufgeregter. Sie konnten es kaum abwarten, zu sehen, was gleich geschehen würde. Schließlich tauchten die ersten Gestalten auf. Zauberer mit hohen Hüten und schwarzen, knöchellangen Umhängen betraten die Lichtung, angeführt vom Ältesten der Zauberer. In seinen knochigen Händen hielt er einen magischen Zauberstock, der leuchtende Blitze schoss. Zum Zeichen seiner Würde baumelten verschiedene Ketten mit Amuletts und Medaillons vor seiner Brust. Zauberlehrlinge, die den Schluss bildeten, schleppten zwischen sich einen wuchtigen,
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