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Vater unser

Vater unser

Titel: Vater unser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jilliane Hoffman
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beobachtet hatte. Besonders nicht, da er während seiner Ausbildung ein Praktikum in der Psychiatrie abgeleistet hatte. Sehen wir der Wahrheit ins Auge, meine Damen und Herren: Dr. David Marquette kannte die Symptome, die es nachzuahmen galt, er wusste, was er den Psychiatern erzählen musste, die ihn untersuchen würden. Er kannte die Wirkung der Psychopharmaka, die man ihm geben würde. Auch seine Vergangenheit passte perfekt ins Bild. Während seines zweiten Universitätsjahres hatte er einige Wochen in einer psychiatrischen Klinik verbracht – wegen einer Kokainpsychose, die jetzt jedoch wunderbar als falsch diagnostizierter psychotischer Zusammenbruch gedeutet werden konnte. Ein Sozialarbeiter beschrieb Marquette während dieses Klinikaufenthaltes als, ich zitiere, ‹manipulierend und berechnend, oberflächlich im Denken und Handeln, mit egozentrischen und hochtrabenden Idealen, die nicht in der Realität verankert sind›. Meine Damen und Herren – für mich klingt das nicht nach einem kranken Mann, sondern nach einem Charakter, der zu allem fähig ist. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie inständig: Lassen Sie sich nicht täuschen. Dr. Barakat, ein forensischer Psychiater mit sechzehn Jahren Berufserfahrung, hat sich auch nicht täuschen lassen. Genauso wenig wie Dr. Hindlin. Die Gedankenprozesse, die in David Marquettes Kopf abliefen, waren brillant, nicht schizophren.» Rick warf dem Angeklagten einen Blick zu.
« Wirklich brillant, das muss ich zugeben.» Marquette zuckte nicht einmal mit der Wimper. Rick wandte sich wieder den Geschworenen zu und wartete, bis aller Augen auf ihn gerichtet waren.
« David Marquette hat mit seiner Geschichte und seiner Schauspielkunst einige Menschen hinters Licht geführt, aber nicht uns alle, denn die Tatsachen sprechen für sich. David Marquette konnte weder die Detectives der Mordkommission noch die staatlich geprüften forensischen Psychiater täuschen, und er hat auch mich nicht getäuscht. Lassen Sie nicht zu, dass er Sie zum Narren hält. Er ist kein Mann, dessen Krankheit ihn dazu brachte, zum Mörder zu werden. Er ist ein Mann, der eine Krankheit dazu benutzt, das Rechtssystem dahin gehend zu manipulieren, dass es ihn freispricht. Er ist nicht schizophren, meine Damen und Herren Geschworenen. Er ist ein kaltblütiger Mörder. Und er muss für seine Taten bezahlen.» R ICK BELLIDO setzte sich hinter den Tisch der Staatsanwaltschaft, dessen zweiter Stuhl seit Donnerstagnach— mittag leer geblieben war. Die Abwesenheit der Staatsanwältin war inzwischen das Thema in allen Zeitungen, Nachrichtensendern und Talkshows. Als die gespannte Stille im Gerichtssaal schließlich einem aufgeregten Flüstern wich, unterbrach Richter Farley die Verhandlung bis zwei Uhr mit der Bemerkung, es sei Zeit fürs Mittagessen. Julia saß im Schlafanzug auf ihrer Wohnzimmercouch, kaute an den Überresten ihres Daumennagels und starrte auf den Fernseher, in dem die Kommentatoren gerade analysierten, was Rick Bellido gesagt hatte, wie die Geschworenen reagiert hatten und vor allem, was dies alles für die Verteidigung bedeutete. Die einhellige Meinung lautete, dass Rick ein brillantes Schlussplädoyer gehalten hatte. Julia schaltete von einem Sender zum nächsten und hörte zu, wie sie selbst von einer Parade lächelnder Rechtsexperten in der Luft zerrissen wurde. Rick hatte sich gründlich gerächt. Er hatte sie und ihre Befragung Barakats so weit diskreditiert, wie es möglich war, ohne seinem Fall zu schaden. Jetzt stand sie als unerfahrene Idiotin da. Sie ging in die Küche und kochte sich zum Mittagessen eine Tasse Kaffee. Dann öffnete sie eine neue Schachtel Zigaretten, setzte sich an den Küchentisch und vergrub ihren Kopf in den Händen. Und auch, wenn das Telefon noch so lange klingelte – sie nahm nicht ab. M IT EINUNDSECHZIG JAHREN, einer Größe von einem Meter achtundachtzig und einem Gewicht von hundertvierzig Kilo konnte Mel Levenson zwar nicht mit Rick Bellidos Aussehen konkurrieren, doch er besaß auf jeden Fall mehr Erfahrung mit Geschworenen. Insgesamt sechsunddreißig Jahre Erfahrung, um genau zu sein, und damit war er Bellido ein ganzes Stück voraus. Er erhob sich gemächlich und ging langsam auf die Geschworenen zu. Er konnte an ihren Gesichtern ablesen, dass er ein oder zwei Punkte im Rückstand lag, und ihm blieb nicht mehr viel Zeit. Also musste er dafür sorgen, dass jedes Wort ins Ziel traf, wenn er seinen Mandanten vor der Todeszelle bewahren wollte.
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