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Vaterland

Vaterland

Titel: Vaterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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rannt war, stieß ein kurzes Meckern aus. März kehrte mit je einem Becher schwarzen Kaffees in den Händen in sein Büro zurück und schmiß die Tür hinter sich so laut zu, wie er das mit dem Fuß nur konnte.

    Reichskriminalpolizei Werderscher Markt 5/6
    Berli n
    Zeugenaussag e
    Mein Name ist Hermann Friedrich Jost. Ich wurde am 23.2.45 in Dresden geboren. Ich bin Kadett an der Sepp-Dietrich-Akademie in Berlin. Um 5.30 Uhr he u te morgen unternahm ich meinen regelmäßigen Tra i ningslauf. Ich ziehe es vor, allein zu laufen. Mein normaler Weg führt mich nach Westen durch den Grunewald zur Havel, nach Norden am Seeufer en t lang zum Lindwerder Restaurant, dann südlich zur Kaserne in Schlachtensee. 300 Meter nördlich der Schwanenwerder Chaussee sah ich etwas im Wasser am Rand des Sees liegen. Es war die Leiche eines Mannes. Ich rannte zu einer Fernsprechzelle, die etwa einen halben Kilometer entfernt am Rand des Seew e ges steht, und unterrichtete die Polizei. Ich kehrte zu der Leiche zurück und wartete auf die Ankunft der Behörden. Während dieser ganzen Zeit regnete es stark, ich habe niemanden gesehen. Ich gebe diese Erklärung aus eigenem freien Willen in der Anw e senheit des Kripo-Fahnders Xaver März ab.
    SS-Schütze H. F.Jost 08.24/4.4.64
    März lehnte sich in seinen Stuhl zurück und studierte den jungen Mann, während der seine Aussage unterschrieb. In dessen Gesicht gab es keine harten Züge. Es war so rosa und weich wie das eines Säuglings, mit einem kräftigen Ausbruch von Akne um den Mund und einem Hauch blo n den Haares auf der Oberlippe. März bezweifelte, daß er sich rasierte. »Warum laufen Sie allein?«
    Jost gab die Aussage zurück. »Das gibt mir die Mö g lichkeit, meinen Gedanken nachzuhängen. Es ruf gut, ei n mal am Tag allein zu sein. Man ist in der Kaserne nicht oft allein.« »Seit wann sind Sie Kadett?« »Seit drei Mon a ten.« »Gefällt es Ihnen?«
    »Gefallen!« Jost wandte sein Gesicht dem Fenster zu. »Ich hatte gerade mit meinem Studium an der Universität Göttingen angefangen, als meine Mobilmachung kam. Ich will mal so sagen, das war nicht der glücklichste Tag in meinem Leben.« »Was haben Sie studiert?« »Literatur.« »Deutsche?«
    »Gibt es denn andere?« Jost zeigte eines seiner wäßrigen Lächeln. »Ich hoffe, daß ich an die Universität zurückkann, wenn ich meine drei Jahre abgedient habe. Ich will Lehrer werden; Schriftsteller. Kein Soldat.«
    März überflog die Erklärung. »Wenn Sie so gegen das Militär sind, was machen Sie dann in der SS?« Er konnte die Antwort erraten. »Mein Vater. Er war Gründungsmit g lied der Leibstandarte Adolf Hitler. Sie wissen wie das ist: Ich bin sein einziger Sohn; es war sein glühendster Wunsch.« »Sie müssen das hassen.«
    Jost zuckte mit den Schultern. »Ich überlebe. Und man hat mir gesagt - natürlich inoffiziell -, daß ich nicht an die Front muß. Sie brauchen in der Offiziersschule in Bad Tölz einen Assistenten, um einen Lehrgang über die Degener a tion der amerikanischen Literatur zu halten. Das klingt mehr nach meinem Gebiet: Degeneration«, er wagte ein weiteres Lächeln. »Vielleicht werde ich auf dem Gebiet noch ein Experte.«
    März lachte und blickte erneut auf die Aussage. Etwas stimmte da nicht, und jetzt sah er es. »Werden Sie sicher.« Er legte die Aussage zur Seite und stand auf. »Ich wünsche Ihnen Glück beim Lehren« »Kann ich gehn?« »Sicher.«
    Mit einem Ausdruck der Erleichterung stand Jost auf. März griff nach der Türklinke. »Noch was« Er drehte sich um und starrte dem SS-Kadetten in die Augen. »Warum lügen Sie mich an?«
    Josts Kopf fuhr zurück. »Was ... »Sie haben gesagt, Sie hätten die Kaserne um 5.3o Uhr verlassen.
    Sie haben die Bullen um 5 nach 6 angerufen. Schw a nenwerder ist 3 Kilometer von der Kaserne entfernt. Sie sind fit: Sie laufen jeden Tag. Sie bummeln nicht herum: es gießt in Strömen. Wenn Sie also nicht plötzlich zu hinken begonnen haben, müssen Sie lange vor 6 am See ang e kommen sein. Damit sind - wie viele? - 20 Minuten von 35 in Ihrer Aussage nicht erklärt. Was haben Sie da gemacht, Jost?«
    Der junge Mann sah wie erschlagen aus. »Vielleicht hab ich die Kaserne später verlassen. Oder vielleicht hab ich erst ein paar Runden auf der Laufbahn gedreht ... «
    »Vielleicht, vielleicht ...,« März schüttelte traurig den Kopf.
    »Das sind Tatsachen, die überprüft werden können, und ich warne Sie: Es wird hart für Sie, wenn ich die Wahrheit

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