Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vaterland

Vaterland

Titel: Vaterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
Vom Netzwerk:
herausfinden un d Ihnen vorlegen muß. Sind Sie homos e xuell?«
    »Herr Sturmbannführer! Um Gottes willen . ..«
    März legte seine Hände auf Josts Schultern. »Das ist mir egal. Vielleicht laufen Sie jeden Morgen allein, um irge n deinen Burschen fü r zwanzig Minuten im Grunewald zu treffen. Das ist Ihre Angelegenheit. Für mich ist das kein Verbrechen. Alles, was mich interessiert, is t die Leiche. Haben Sie irgendwas gesehen? Was haben Sie wirklich gemacht?«
    Jost schüttelte den Kopf. »Nichts, ich schwöre es.« Tr ä nen stiegen in seine weiten blassen Augen.
    »Na schön.« März ließ ihn Ios. »Warten Sie unten. Ich werd veranlassen, daß man Sie nach Schlachtensee zurüc k bringt.« Er öffnete di e Tür. »Denken Sie daran, was ich gesagt hab: Besser, Sie sagen mir jetzt die Wahrheit, als daß ich sie später allein herausfinde.«
    Jost zögerte, und für einen Augenblick glaubte März, er würde etwas sagen, aber dann ging er den Korridor hinab und war fort.
    März rief in die Kellergarage durch und orderte einen Wagen. Er legte auf und starrte durch das schmierige Fen s ter auf di e gegenüberliegende Mauer. Die schwarzen Zi e gel glitzerten unter dem Regenfilm, der aus den oberen Stockwerken herabstürzte. War e r mit dem Jungen zu hart umgegangen? Wahrscheinlich. Aber manchmal kann man die Wahrheit nur überlisten, kann sie nur in eine m unb e wachten Augenblick durch einen Überr a schungsangriff fangen.
    Hatte Jost gelogen? Sicher. Aber wenn er homosexuell war, dann konnte er es sich kaum leisten, nicht zu lügen: Jeder, der eine r »widernatürlichen Handlung gegen die G e sellschaft« für schuldig befunden wurde, wanderte prompt ins Arbeitslager. SS-Leute, di e man wegen Hom o sexualität verhaftete, wurden zu Strafbataillonen an der Ostfront a b kommandiert; wenige kehrten zurück.
    März hatte im letzten Jahr Dutzende junger Männer wie Jost gesehen. Und jeden Tag gab es mehr davon. Sie leh n ten sich gegen ihr e Eltern auf. Sie stellten den Staat in Fr a ge. Sie hörten amerikanische Radiosender. Sie brachten ihre grob g e druckten Kopien verbotene r Bücher in Umlauf - Graham Greene und Arno Schmidt, George Orwell und J. D. Salinger. Vor allem aber protestierten sie gegen de n Krieg - den anscheinend endlosen Kampf gegen die von den USA unterstützten sowjetischen Freischärler, der nun bereits seit zwanzig Jahren östlich des Urals vor sich hin mahlte.
    Plötzlich schämte er sich, wie er Jost behandelt hatte, und erwog, runterzulaufen und sich bei ihm zu entschuld i gen. Aber dann entschied er, wie immer, daß seine Pflicht dem Toten gegenüber zuerst komme. Seine Buße für die Grobheit des Morgens würde sein, der Leiche im See ihren Namen zu geben.
    Der Dienstraum der Berliner Kriminalpolizei nimmt den größten Teil der dritten Etage am Werderschen Markt ein. März nahm zwei Stufen zugleich hinauf. Vor dem Eingang verlangte ein Posten mit Maschinenpistole seinen Au s weis. Die Tür öffnete sich unter dem dumpfen Schlagen elektr i scher Riegel. Eine erleuchtete Katte Berlins nimmt die ha l be Rückwand ein.
    Eine Sternengalaxie, orange im Halbdunkel, kennzeic h net die 112 Polizeireviere der Hauptstadt. Zu ihrer Linken ist eine zweite Karte, größer noch, die das ganze Reich da r stellt. Rote Lichter kennzeichnen die Städte, die groß g e nug für eigene Kriminalabteilungen sind. Die Mitte Eur o pas glüht blutigrot. Weiter nach Osten werden die Lichter immer seltener, bis es jenseits Moskaus nur noch einige wenige einzelne Funken sind, die wie Lagerfeuer im Du n keln blinken. Ein Planetarium des Verbrechens. Krause, der Beamte vom Dienst für den Gau Berlin, saß unter den Schautafeln auf einer erhöhten Plattform. Er telefonierte, als März herankam, und hob die Hand zum Gruß. Vor ihm saßen in gestärkten weißen Hemden ein Dutzend Frauen in gläsernen Abteilungen mit Kopfhörern und Mikrofonen. Was sie sich alles anhören mußten! Der Feldwebel einer Panzerdivision kommt von seiner Dienstzeit aus dem O s ten zurück. Nach dem Essen nimmt e r seine Pistole heraus und erschießt nacheinander seine Frau und die drei Kinder. Dann verspritzt er sein Gehirn über die Zimmerdecke. E i ne hysterische Nachbarin ruft die Bullen. Die Nachricht kommt hier rein - wird überprüft, gewertet, entschlackt - ehe sie nach unten in jenen Korridor mit rissigem grünem Linoleum und abgestandenem Zigarettenrauch weitergeg e ben wird.
    Hinter dem Beamten vom Dienst nahm eine uniformie r te

Weitere Kostenlose Bücher