Vaterland
im Gefängnis besucht; hatte eingewilligt, ihn zu heir a ten. Die Angelegenheit hatte jenen sentimentale n Zug b e rührt, der so tief in die deutsche Psyche eingebe t tet ist. Es hatte einen öffentlichen Kampf gegeben, die Zeremonie zu genehmigen. Die Behörden hatten nachgegeben. Also b e gleitete März ihn zu seiner Heirat, stand mit Handschellen an ihn gefesselt während der Messe neben ihm, und sogar während der Hochzeitsaufnahmen, ein ungewöhnlich ve r bundener Trauzeuge. Der Hochzeitsem p fang hatte in einer düsteren Halle neben der Kirche stattgefunden. Gegen E n de hatte ihm der Bräutigam zugeflü s tert, da gebe es einen Lagerraum mit einem Teppich, und der Priester habe nichts dagegen ... Und März, noch jungverheiratet, hatte den L a gerraum überprüft und festgestellt, daß es da keine Fenster gab, und hatte den Mann mit seiner Frau für zwanzig M i nuten allein gelassen. Der Priester, der als Kaplan dreißig Jahre lang auf den Hamburger Docks gearbeitet und wohl das meiste gesehen hatte, hatte März ernst zug e nickt.
Auf dem Weg zurück ins Gefängnis hatte März, als die hohen Mauern in Sicht kamen, angenommen, daß der Mann niedergeschlagen sei, vielleicht um zusätzliche Zeit bäte, vielleicht sogar einen Fluchtversuch unternehmen würde. Nichts dergleichen. Er hatte lächelnd dagesessen und seine Zigarre aufgeraucht. Jetzt, als er über dem Z ü richsee stand, begann März zu begreifen, was er empfu n den hatte. Es war ihm genug gewesen zu wissen, daß es die Möglichkeit eines anderen Lebens gebe; und ein Tag davon hatte ausgereicht. Er spürte, wie Charlie sich neben ihn stellte. Sie küßte ihn leicht auf die Wange.
In einem Geschäft am Zürcher Flughafen Kloten stape l ten sich bunte Geschenke – Kuckucksuhren, Spielzeu g skier, Aschenbecher mi t dem eingebrannten Bild des Ma t terhorns und Pralinen.
März suchte sich eine der Schachteln aus, mit Spieluhr, auf deren Deckel die Worte standen »Unserem geliebten Führe r Geburtstagsgrüße, 1964«, und nahm sie mit zum Verkaufstresen, wo eine mollige Frau mittleren Alters wa r tete.
»Könnten Sie das für mich einpacken und auf die Post geben?«
»Kein Problem. Schreiben Sie mir nur auf, wohin Sie es wünschen,
Sie gab ihm einen Vordruck und einen Bleistift, und März schrieb Hannelore Jägers Namen und Adresse auf. Hannelore war noch fette r als ihr Mann und liebte Pralinen. Er hoffte, Max werde den Witz erkennen.
Die Angestellte wickelte die Schachtel mit geübten Fi n gern rasch in braunes Papier.
»Verkaufen Sie viel davon?«
»Hunderte. Ihr Deutschen liebt euren Führer wirklich.«
»Ja, das ist wahr.. Er sah sich das Päckchen an. Es war genau so gepackt wie jenes, das er aus Bühlers Briefkasten genommen hatte.
»Sie führen wohl keine Liste der Adressen, an die Sie solche Päckchen schicken?«
»Das wäre unmöglich.« Sie adressierte es, klebte eine Marke auf und legte es auf den Haufen hinter ihr.
»Natürlich. Und Sie erinnern sich wahrscheinlich auch nicht daran, einen älteren Deutschen gegen vier Uhr am Montagnachmitta g bedient zu haben? Er trägt eine dicke Brille und hat tr ä nende Augen.«
Plötzlich war ihr Gesicht hart vor Mißtrauen. »Wer sind Sie?
Ein Polizist?«
»Es ist unwichtig.« Er zahlte für die Pralinen und auch für einen Bierkrug, der auf der Seite die Inschrift trug. ICH LIEBE ZÜRICH.
Luther würde nicht den Weg in die Schweiz gemacht haben, um das Gemälde wieder in den Banktresor zu bri n gen, überlegte März.
Selbst als Beamter des Außenministeriums im Ruhe s tand hätte er niemals ein Päckchen von der Größe mit dem Stempel »Geheim e Reichssache« am Zoll vorbeischmu g geln können. Er mußte hergekommen sein, um etwas abz u holen und wieder mit nach Deutschlan d zu nehmen. Und da es sich um seinen ersten Besuch im Tresor seit einun d zwanzig Jahren handelte, und da es noch drei weitere Schlüssel gab und da er niemandem traute, mußte er Zwe i fel empfunden haben, ob sich das andere Ding immer noch da befand.
Er stand da und starrte in den Warteraum der Abflugha l le und versuchte sich das Bild des älteren Mannes vorzu s tellen der da in das Terminal hastet und seine wertvolle Fracht an sich preßt, während ihm sein schwaches Herz heftig gegen die Rippen schlägt. Die Pralinen mußten eine Erfolgsmeldung gewesen sein:
so weit, meine alten Kameraden, so gut. Was mochte er bei sich getragen haben? Keine Gemälde und kein Geld; von beidem hatten sie in Deutschland genug.
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