Vaterland
ich weiß, verfügen Sie über die notwendige Beglaubigung?«
März zog den Brief hervor. Zaugg hielt das Papier rasch ans Licht und untersuchte die Unterschrift. »Ja, tatsäc h lich. Die Handschrift meiner jungen Jahre. Ich fürchte, seit dem ist meine Handschrift schlechter geworden. Kommen Sie.«
In seinem Büro wies er sie zu einem niedrigen Sofa aus weißem Leder. Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch. Jetzt lag der Vorteil der Höhe bei ihm: der älteste Trick.
März hatte sich entschlossen, offen zu sein. »Wir sind gestern an Ihrem Haus vorbeigekommen. Ihr Privatleben wird gut bewacht.« Zaugg hatte die Hände auf dem Schreibtisch gefaltet. Er machte eine bedeutungslose Geste mit seinen kleinen Daumen, als ob er sagen wollte: Sie wissen ja, wie das ist. »Ich hörte von meinen Mitarbeitern, daß Sie selbst ebenfalls Schutz hatten. Habe ich diesen B e such als einen amtlichen anzusehen oder als einen priv a ten?« »Beides. Das bedeutet, keins von beiden.«
»Ich bin mit der Lage vertraut. Als nächstes werden Sie mir sagen, daß es sich um eine delikate Angelegenheit. handelt« »Es ist eine delikate Angelegenheit.« »Meine Spezialität, Er rückte seine Manschetten zurecht.«
»Manchmal erscheint es mir, als sei die ganze Geschic h te Europas des 2o. Jahrhunderts durch dieses Büro g e strömt. In den dreißiger Jahren waren es jüdische Flüc h tlinge, die da saßen, wo jetzt Sie sitzen - oftmals pathet i sche Gestalten, die umklammerten, was immer sie hatten retten können. Sie wurden meist dicht von Herren der G e stapo verfolgt. In den vierziger Jahren waren es deutsche Beamte von -wie soll ich sagen? - kürzlich erworbe-nem Reichtum. Manchmal kamen die gleichen Männer, die z u vor gekommen waren, um die Konten anderer zu schließen, um nun Konten für sich selbst zu eröffnen. In den fünfziger Jahren hatten wir es mit den Nachfahren jener zu tun, die in den vierzigern verschwunden waren. Jetzt, in den sechz i ger Jahren, sehe ich eine Zunahme des Amer i ka-Geschäftes voraus, da Ihre beiden großen Länder sich erneut näher kommen. Die siebziger Jahre werde ich meinem Sohn überlassen.«»Dieses Beglaubigungsschreiben«, sagte März, »wieviel Zugang verschafft es uns?« »Sie haben den Schlüssel?« März nickte.
»Dann haben Sie vollständigen Zugang.« »Wir würden gerne mit dem Kontenbericht beginnen.«
»Sehr gut.« Zaugg studierte den Brief, dann nahm er den Hörer ab. »Fräulein Graf, bringen Sie mir die Akte zu 2402.« Sie erschien eine Minute später, eine Frau mittleren Alters, die ein dünnes Bündel Papiere in einem dicken Pappeinband trug. »Was möchten Sie wissen?« »Wann wurde das Konto eröffnet?« Er sah die Papiere durch. »Im Juli 1942. Am 8. jenen Monats« »Und wer hat es eröf f net?«
Zaugg zögerte. Er ging mit seinem Vorrat an wertvollen Informationen um wie ein Geizhals: Sich von einer Tats a che trennen zu müssen war jedesmal eine Qual. Aber nach den Bedingungen seiner eigenen Regeln hatte er keine Wahl. Schließlich sagte er: »Herr Martin Luther«
März machte sich Notizen. »Und welche Bedingungen wurden für das Konto vereinbart?« »Ein Schließfach. Vier Schlüssel.« »Vier Schlüssel?« März zog überrascht die Augenbrauen hoch.
Einer war für Luther selbst, und vermutlich jeweils einer für Bühler und Stuckart. Aber wer bekam den vierten Schlüssel? »Wie wurden sie verteilt?«
»Sie wurden alle Herrn Luther übergeben, zusammen mit vier Beglaubigungsschreiben. Natürlich, was er mit ihnen vorhatte, war nicht unsere Angelegenheit. Sie werden verstehen, daß es sich hier um eine besondere Kontenform handelte - ein Konto für Notzeiten, für den Krieg -, entw i ckelt, um die Anonymität zu wahren, zugleich aber dem Erben oder dem Nutznießer leichten Zugang zu ermögl i chen, sollte dem ursprünglichen Konteninhaber etwas z u stoßen.« »Wie hat er das Konto bezahlt?«
»In bar. Schweizer Franken. Miete für dreißig Jahre. Im voraus. Machen Sie sich keine Sorgen, Herr März - bis 1972 ist nichts zu zahlen« Charlie sagte: »Haben Sie A n gaben über die Transaktionen im Zusammenhang mit di e sem Konto?« Zaugg wandte sich ihr zu. »Nur die Daten, an denen das Schließfach geöffnet worden ist.« »Wann war das?«
»Am 8. Juli 1942. Am 17. Dezember 1942. Am 9. A u gust 1943. Am 13. April 1964«
Am 13. April! März konnte einen Triumphschrei kaum unterdrücken. Seine Vermutung war richtig gewesen. L u ther - Anfang der Woche nach Zürich
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