Vaterland
geflogen. Er kritzelte die Daten in sein Notizbuch. »Nur viermal?« fragte er. »Korrekt.«
»Und bis zum letzten Montag ist das Fach während n a hezu 21 Jahren nie geöffnet worden?«
»Das deuten die Daten an.« Zaugg schlug die Akte mit einer Geste der Ungeduld zu. »Ich möchte hinzufügen, daß daran nichts Ungewöhnliches ist. Wir haben Fächer hier, die fünfzig Jahre oder länger unberührt liegen.« »Haben ursprünglich Sie das Konto eingerichtet?« »Ja.«
»Hat Herr Luther gesagt, warum er das Konto eröffnen wollte, oder warum er diese besondere Regelung brauc h te?« »Bankgeheimnis.« »Bitte?«
»Das ist eine spezielle Information zwischen Kunde und Bankier.« Charlie unterbrach. »Aber wir sind doch Ihre Kunden.«
»Nein, Fräulein Maguire. Sie sind die Nutznießer me i nes Kunden. Ein wichtiger Unterschied.« »Hat Herr L u ther das Fach bei jeder dieser Gelegenheiten selbst geöf f net?« fragte März. »Bankgeheimnis.«
»War es Luther, der die Box am Montag geöffnet hat? Und in welcher Stimmung befand er sich?«
»Bankgeheimnis, Bankgeheimnis.« Zaugg hob die Hä n de. »Wir können so den ganzen Tag weitermachen, Herr März. Nicht nur bin ich in keiner Weise verpflichtet, Ihnen solche Informationen zu geben, es wäre unter dem schwe i zerischen Bankengesetz für mich sogar illegal, wenn ich es täte. Ich habe Ihnen alles mitgeteilt, was zu wissen Sie e i nen Anspruch haben. Gibt es sonst noch etwas?«
»Ja.« März schloß sein Notizbuch und sah Charlie an. »Wir würden uns das Fach gern selbst ansehen.«
Ein kleiner Aufzug führte hinab in die Gewölbe. Er hatte gerade Platz für vier Passagiere. März und Charlie, Zaugg und sein Leibwächter standen unbequem zusammenge p reßt. Aus der Nähe roch der Bankier nach Kölnisch Wa s ser; sein Haar glitzerte unter einer öligen Pomade.
Der Tresorraum war wie ein Gefängnis oder eine Le i chenhalle: ein weiß gefliester Korridor erstreckte sich vor ihnen über 3o Meter, mit Gittern auf beiden Seiten. Am anderen Ende saß neben der Tür an einem Pult ein Siche r heitsbeamter. Zaugg zog einen schweren Schlüsselbund aus seiner Tasche, der mit einer Kette an seinem Gürtel befe s tigt war. Er summte vor sich hin, während er den richtigen suchte.
Die Decke vibrierte leicht, als eine Tram über sie hi n wegfuhr.
Er ließ sie in den Käfig ein. Stahlwände glänzten im Neonlicht: Reihen aus Türen, jede einen halben Quadra t meter groß. Zaugg bewegte sich vor ihnen hin, schloß dann eine in Hüfthöhe auf und trat zurück. Der Sicherheitsbea m te zog ein langes Fach heraus, von der Größe einer meta l lenen Feldkiste, und trug sie zu einem der Tische. Zaugg sagte: »Ihr Schlüssel paßt zu diesem Fach. Ich warte dra u ßen.« »Nicht nötig.«
»Danke, aber ich ziehe es vor zu warten.«
Zaugg verließ den Käfig und blieb draußen stehen, den Rücken zum Gitter. März sah Charlie an und gab ihr den Schlüssel. »Mach du.« »Ich zittere.«
Sie führte den Schlüssel ein. Er drehte sich leicht. Das Ende des Fachs öffnete sich. Sie langte hinein. Auf ihrem Gesicht erschien ein Ausdruck der Verblüffung, dann der Enttäuschung. »Ich glaube, es ist leer.« Ihr Ausdruck wechselte. »Nein ... «
Sie lächelte und zog einen flachen Kasten aus Karton heraus, etwa 9o Quadratzentimeter groß und 5 Zentimeter hoch. Der Deckel war mit rotem Wachs versiegelt und trug ein aufgeklebtes Schildchen mit der maschinengeschrieb e nen Aufschrift: »Eigentum des Vertragsarchivs des Reichsministeriums des Äußeren, Berlin.« Und darunter in gotischer Schrift: »Geheime Reichssache« Ein Vertrag?
März brach das Siegel auf, wozu er den Schlüssel b e nutzte. Er hob den Deckel auf. Das Innere entließ eine G e ruchsmischung aus Staub und Weihrauch.
Eine andere Tram fuhr vorüber. Zaugg summte immer noch und klingelte mit seinen Schlüsseln.
Im Inneren des Pappkanons lag ein Gegenstand, der in Wachstuch eingewickelt war. März hob ihn heraus und legte ihn flach auf den Tisch. Er schlug das Tuch zurück: eine angekratzte alte Holztafel; eine der Ecken war abg e brochen. Er drehte sie um. Charlie stand unmittelbar neben ihm. Sie murmelte: »Wie schön.«
Die Kanten der Tafel waren abgesplittert, als ob sie von ihrem Platz losgebrochen worden seien. Aber das Porträt selbst war vollständig erhalten. Eine junge Frau, erlesen, mit blaßbraunen Augen, sah nach rechts, eine Schnur schwarzer Perlen zweimal um den Hals geschlungen. In ihrem Schoß hielt sie
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