Vatermord und andere Familienvergnuegen
dich. Du verpasst noch den Bus.« Sie legte mir die Hand unter meinen Hinterkopf und richtete mich vorsichtig auf. »Ich versteh's nicht«, sagte ich.
Wir hörten Schritte im Flur, die Dielen knarrten. Meine Mutter warf die Laken wieder über mich und sprang in Terrys Bett. Das Gesicht meines Vaters erschien in der Tür. Er sah mich noch halb aufgerichtet und fragte: »Fühlst du dich besser?«
Ich schüttelte den Kopf. Als er weg war, sah ich, dass meine Mutter die Augen geschlossen hatte; sie tat, als schlafe sie.
Später hatte ich nur eine vage, verschwommene Erinnerung an diese Episode; aber das vorherrschende Gefühl blieb mir in Erinnerung, ein Gefühl, als platze man mitten in die Aufführung eines Stücks von Harold Pinter hinein und würde sogleich von einem Tribunal aufgefordert, das Stück zu erklären, andernfalls werde man exekutiert. Meine Mutter hingegen schien sich an nichts davon zu erinnern, und wenn ich das Thema anschnitt, erklärte sie mir, ich hätte die ganze Nacht im Fieberwahn gelegen und wirres Zeug geredet. Ich wusste nicht, was ich glauben sollte.
Und plötzlich lief alles nicht mehr nur schlecht, sondern katastrophal.
Es war heiß, zweiundvierzig Grad. Ein glühender Wind aus südlicher Richtung blies durchs offene Fenster. Ich versuchte, etwas Gemüsesuppe zu essen, die mein Vater gemacht hatte. Meine Mutter brachte sie mir. Ich schlürfte nur zwei Löffel davon, doch ich konnte sie nicht bei mir behalten. Ich griff nach der Schüssel und erbrach alles wieder. Mein Kopf hing über der Schüssel, und ich starrte in das kaleidoskopische Antlitz meines eigenen Erbrochenen. Da erblickte ich in der Kotze das wohl Schrecklichste, was ich in meinem Leben gesehen habe, und ich habe schon gesehen, wie Hunde mittendurch gesägt wurden.
Und zwar sah ich dort:
Zwei. Blaue. Kügelchen.
Genau, Rattengift.
Ganz genau, Rattengift.
Eine Weile versuchte ich rauszukriegen, wie ich sie versehentlich hätte schlucken können. Aber da ich seit Beginn meiner Krankheit keinen Fuß aus dem Bett gesetzt hatte, musste ich das ausschließen. Es blieb also nur eine Antwort. Mein Magen zog sich wie ein Schraubstock zusammen. Ich werde vergiftet, dachte ich. Er, mein Vater, vergiftet mich.
Machen wir uns nichts vor: Menschliche Empfindungen können absurd sein. Wenn ich an diesen Moment zurückdenke, daran, was ich empfand, als mir klar wurde, dass mich mein Stiefvater langsam umbrachte, so war das kein Zorn. Ich war nicht empört. Ich war gekränkt. Ganz richtig. Dass dieser Mann, mit dem ich mein ganzes bisheriges Leben verbracht hatte, der Mann, der meine Mutter geheiratet hatte und praktisch genommen mein Vater war, mich heimtückisch vergiftete, verletzte meine Gefühle. Absurd!
Ich ließ die Schüssel fallen, sodass sich das Erbrochene über den Teppich ergoss und in die Ritzen zwischen den Dielen sickerte. Ich schaute ein ums andere Mal hin und musste jedes Mal feststellen, dass ich nicht halluzinierte, wie meine Mutter mir in der Nacht zuvor versichert hatte.
Meine Mutter! Welche Rolle spielte sie bei alldem? Offenkundig wusste sie Bescheid - deswegen hatte sie gewollt, dass ich fliehe, einen Plan, den sie abrupt aufgegeben hatte, weil sie fürchtete, der Mörder könnte, wenn er von meinen Fluchtversuch erfahren würde, seinen langfristigen Mordplan fallen lassen und mir sofort ein Messer in den Bauch rammen oder ein Kissen aufs Gesicht drücken.
O Mann! Eine missliche Lage!
Die Ruhe zu bewahren, wenn dein Stiefvater versucht, dich umzubringen, ist nahezu unmöglich. Es hat natürlich auch seinen schwarzhumorigen Reiz, mitanzusehen, wie dein Mörder angeekelt das Gesicht verzieht, wenn er schweigend dein Erbrochenes aufwischt, aber es lässt einen leider auch schaudern: Man möchte sich am liebsten wie ein Fötus zusammenrollen und so bis zur nächsten Eiszeit verharren.
Ich konnte den Blick nicht von ihm wenden. Eine perverse Neugier hatte mich am Wickel, was er wohl als Nächstes tue. Ich hätte etwas sagen sollen, dachte ich, aber was? Den eigenen Meuchelmörder zu provozieren, ist eine heikle Angelegenheit; man möchte ja nicht unbedingt die eigene Ermordung beschleunigen, nur weil man sich etwas von der Seele reden will.
»Versuch, das nächste Mal die Schüssel zu treffen«, sagte er ausdruckslos.
Ich sagte nichts darauf, starrte ihn nur an, als habe er mir das Herz gebrochen.
Als er fort war, setzte mein nüchterner Verstand wieder ein. Was sollte ich jetzt bloß machen? Es
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