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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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hat.
    »Martin!«, brüllte eine Stimme.
    »Nicht da lang!«, schrie eine andere.
    »Meine Mum und mein Dad sind da!«, rief ich zurück, und während ich weiterrannte, glaubte ich, jemanden sagen zu hören: »Grüß sie von mir!«
    Ich sah, wie das Feuer über einen ausgetrockneten Bachlauf sprang. Ich kam am brennenden Kadaver eines Schafs vorbei. Ich musste das Tempo drosseln. Der Rauch hatte sich zu einer grauen Wand verdichtet; plötzlich war es unmöglich, festzustellen, wo die Flammen waren. Meine Lungen brannten. Ich wusste, dass ich am Ende war, wenn ich nicht bald Luft bekam. Ich würgte und kotzte Rauch. Es waren Karotten dazwischen.
    Als ich zu unserer Straße kam, versperrte mir eine züngelnde Flammenwand den Zugang. Dahinter konnte ich eine Gruppe von Menschen ausmachen. Die Feuerwand stand wie ein Festungstor zwischen uns. Ich blinzelte in das grelle Feuer, während gelbschwarzer Rauch über der Gruppe wogte.
    »Habt ihr meine Eltern gesehen?«, rief ich.
    »Wer ist da?«
    »Martin Dean!«
    »Marty!« Ich glaubte die Stimme meiner Mutter zu hören. Es war schwer zu sagen. Das Feuer verschluckte die Worte. Dann wurde die Luft ganz still.
    »Der Wind!«, schrie jemand. Sie erstarrten. Sie alle warteten, welche Richtung das Feuer als Nächstes einschlagen würde. Eine Flammenzunge wirbelte hinter ihnen auf, hoch in die Luft und sprungbereit. Ich kam mir vor wie jemand, der unter der Guillotine lag und hoffte, dass man seinen Kopf später wieder ankleben konnte. Ein heißer Windstoß strich über mein Gesicht.
    Ehe ich schreien konnte, hatten sich die Flammen auf mich gestürzt. Plötzlich brannte mein Kopf. Und dann, genauso schnell, änderte der Wind seine Richtung und die Flammen sprangen davon, auf die Menschengruppe zu. Diesmal machten sie nicht wieder kehrt.
    Obwohl das Feuer weg war, hatte ich Rauch in Augen und Lungen, und mein Haar stand in Flammen. Ich heulte auf vor Schmerzen. Ich riss mir die Kleider vom Leib, warf mich zu Boden und wälzte meinen Kopf im Staub. Ich brauchte einige Sekunden, um mich zu löschen, und in dieser Zeit hatte das Feuer ein Ohr gefressen und meine Lippen abgeflammt. Durch meine angeschwollenen Augenlider hindurch konnte ich sehen, wie der Flammenhurrikan über die Menschengruppe, darunter meine Eltern, hinwegfegte und sie verschlang. Nackt und verbrannt quälte ich mich auf die Knie hoch und schrie vor hilfloser, rasender Wut.
     
    Die meisten der Gefängnisinsassen hatten es nach draußen geschafft, nur die in Einzelhaft nicht. Sie waren in dunkle Zellen im Keller gesperrt gewesen, und die Zeit hatte nicht gereicht, sie noch zu retten. Wie ich vermutet hatte, war Terry tot.
    Während abseits der Stadt immer noch kleinere Feuer brannten, verschwendeten die Medien keine Zeit und machten einen Riesenwirbel um Terry Deans Ende im Gefängnis. Er war nur noch ein Häufchen Asche. Nachdem die Polizeifotografen die Zelle fotografiert hatten, ging ich hinein. Auch die Knochen waren noch da. Aber das ganze gute Zeug war in der Asche. Mit Kehrschaufel und Besen sammelte ich meinen Bruder ein und schüttete alles in eine kleine Pappschachtel. Es war nicht leicht. Ein Teil von Terrys Asche vermischte sich mit der Asche der hölzernen Etagenbetten. Armer Terry. Man konnte ihn nicht von einem Bett unterscheiden. Das ist doch traurig.
    Die Knochen ließ ich zurück. Sollte der Staat sie begraben. Ich nahm den Rest. Wie ich schon sagte, das gute Zeug war in der Asche.
    Vor dem Gefängnis wirbelten schwarze Ascheflocken wild in der Luft und stiegen in den Himmel hoch, und als der Wind sich legte, sank die Asche zu Boden und herab auf die Autos und die Journalisten. Rot glühende Funken lagen auf dem heißen Asphalt. Ich betrachtete das rauchende, schwarz verbrannte Grasland und die versengten Hügel. Überall glomm noch Asche. Jedes Haus war mit Asche und verbranntem Schutt bedeckt. Jeder Geruch beißend. Jeder Farbton schaurig.
    Mutter tot. Vater tot. Bruder tot. Harry tot. Caroline fort. Lionel fort. Die Stadt fort. Der Eid war auch hinfällig, das geheiligte Band zerrissen.
    Frei.
    Schnell machte es die Runde, dass ein Mann sich ein Steak in der Asche seines eigenen Hauses briet. Sämtliche Reporter hatten sich um ihn geschart. Sie fanden das zum Kaputtlachen. War es wohl auch.
    Ein Gewitter zog auf. Eine Gruppe Überlebender stand in den Trümmern der Stadt und sprach über den möglichen Ursprung des Feuers. Wodurch war es diesmal ausgelöst worden? Ich hatte angenommen, es

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