Vatermord und andere Familienvergnuegen
Leben Mr. Dean genannt wurde. Es gefiel mir nicht. »Können Sie mich verstehen? Was fehlt Ihnen denn?«
»Kinderkrankheit«, sagte meine Mutter. »Ist er nicht ein bisschen alt dafür?«
»Hören Sie, Mr. Dean, wir wüssten gerne von Ihnen, wie Ihre Herausgebertätigkeit bei dem Buch genau aussah.« »Welches Buch?«, stöhnte ich.
Der Kleine wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht und rieb sich die Hände an den Hosen ab. »Lassen wir die Spielchen, Mr. Dean. Sie haben erheblichen Anteil an der Veröffentlichung des Handbuchs des Verbrechens von Terry Dean.«
»Harry West«, sagte ich.
»Bitte?«
»Das Handbuch des Verbrechens hat Harry West geschrieben, nicht Terry Dean.«
»Der Kerl, der von der Harbour Bridge gesprungen ist«, erklärte Dünnlippe.
»Es auf einen Toten zu schieben, weil der Ihre Story nicht mehr bestätigen kann, ist ein bisschen zu einfach. Das gefällt mir nicht.«
»Muss Ihnen erst etwas gefallen, bevor es Tatsache wird?«, fragte ich, und bevor sie antworten konnten, fügte ich hinzu: »Einen Augenblick bitte.« Ich spürte, wie mir das Mittagessen hochkam. Ich schnappte mir die Schüssel und übergab mich. Ein langer silberner Faden aus Speichel verband meine Unterlippe mit dem Rand der Schüssel.
»Also, Dean. Machen Sie nun eine Aussage oder nicht?«
Ich zeigte auf die Schüssel und sagte: »Mehr habe ich nicht zu sagen.«
»Hören Sie. Es gibt keinen Grund, feindselig zu sein. Wir legen Ihnen nichts zur Last, wir stellen nur ein paar Voruntersuchungen an. Können Sie uns sagen, was genau Sie als Herausgeber getan haben? Wo haben Sie und Terry sich getroffen?«
»Ihr Bruder war in der Schule nicht gerade eine Leuchte, Mr. Dean. Es muss doch voller Rechtschreibfehler, Grammatikfehler und dergleichen gewesen sein.«
Ich blickte zu meiner Mutter hinüber, die in einer Art Trance aus dem Fenster blickte.
»Wir haben uns das Buch angeschaut. Herausgeber arbeiten immer eng mit ihren Autoren zusammen.«
»Hatte Ihr Bruder irgendwelche Komplizen? Wir untersuchen da einige neue Straftaten.«
Ich sagte nichts, aber auch ich hatte die Zeitungen gelesen. Wie Künstler lassen sich auch Mörder von der glamourösen Verbindung aus Einfallsreichtum und Erfolg locken, und ein oder zwei Möchtegern-Kriminelle hatten in den Monaten nach Terrys Festnahme Morde in seinem Stil begangen, allerdings ganz ohne Pfiff und eigene Ideen. Als der australische Schachmeister mit einem Läufer und zwei Bauern in der Kehle aufgefunden worden war, hatte die australische Öffentlichkeit dem Ganzen nur spärliche Aufmerksamkeit geschenkt, nicht zuletzt, weil die Möchtegern-Rächer nicht realisiert hatten, dass Schach ein Spiel ist, kein Sport.
Da sie merkten, dass ich nicht in der Verfassung war, ihre Fragen zu beantworten, sagte einer der Detectives: »Wir werden wiederkommen, wenn es Ihnen etwas besser geht, Mr. Dean.«
Nachdem sie fort waren, kam mein Vater im Schlafanzug an die Zimmertür geschlurft und schaute meine Mutter und mich mit einer Miene an, die ich nicht so recht deuten konnte, ehe er wieder davonschlurfte. Nur um das festzuhalten: Ich empfand den Gesichtsausdruck nicht als bedrohlich, denn trotz all seiner Verbitterung und seiner Vorbehalte mir gegenüber war ich doch immer noch irgendwie sein Sohn. Auf seine Todesliste hatte ich nie allzu viel gegeben, auch nicht auf die Möglichkeit, dass er so verrückt geworden sein könnte, mir tatsächlich mutwillig etwas anzutun.
Am nächsten Morgen hörte ich, wie mich die Stimme meiner Mutter halb flüsternd, halb gurrend rief, und als ich die Augen öffnete, sah ich, dass mein Koffer nun fertig gepackt war und an der Tür stand, daneben meine braunen Schuhe, deren Spitzen Richtung Flur wiesen. Meine Mutter blickte mit kalkweißem Gesicht auf mich herab. »Schnell. Du solltest jetzt gehen«, sagte sie, wobei sie mich starr fixierte, aber nicht meine Augen, irgendeine andere Stelle in meinem Gesicht, vielleicht die Nase. »Was ist los?«, krächzte ich, aber sie zog mir einfach das Bettzeug weg und zerrte mit überraschender Kraft an meinem Arm. »Zeit zum Aufbruch, Marty. Du musst den Bus erwischen.« Sie küsste mich auf die schweißnasse Stirn. »Ich liebe dich sehr, aber komm nicht hierher zurück«, sagte sie. Ich versuchte aufzustehen, konnte es aber nicht. »Wir sind einen langen Weg gemeinsam gegangen, Marty. Ich habe dich getragen, weißt du noch? Aber diesmal kann ich dich nicht tragen. Du musst aus eigener Kraft gehen. Na komm, beeil
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