Vatermord und andere Familienvergnuegen
seien Brandstifter gewesen. Es sind fast immer Brandstifter. Was ist bloß mit diesen beschissenen Brandstiftern los? Wahrscheinlich sind sie gar nicht mal so heimtückische, erzböse Übeltäter, sondern einfach dumm und langweilen sich zu Tode: eine extrem gefährliche Kombination.
Wer weiß, was in ihrer Kindheit passiert ist, jedenfalls wachsen sie zu Menschen heran, die keinerlei Einfühlungsvermögen besitzen. Wir sind umgeben von blöden und gelangweilten Menschen ohne jede Empathie. Man kann einfach nicht darauf vertrauen, dass sich die Leute anständig benehmen. Das krasseste Beispiel: Es kommt nicht jeden Tag vor, aber immer wieder scheißen Menschen in öffentliche Schwimmbäder. Das sagt für mich alles.
Aber nein, die Überlebenden meinten, diesmal seien es keine Brandstifter gewesen.
Es war das Observatorium.
Das Blut gefror mir in den Adern.
Ich trat näher. Was ich hörte, war Folgendes:
Im Lauf der Jahre hatte das Observatorium den Reiz des Neuen verloren; die ganze Anlage war mehr und mehr heruntergekommen und dort oben auf dem Hügel dem Verfall überlassen worden. Das Dach des Observatoriums ließ sich über ein Scharnier öffnen. Irgendjemand hatte es offen stehen lassen. Die Linse hatte das Licht der Sommersonne zu einem heißen Strahl gebündelt und das Gebäude in Brand gesetzt. Der Wind hatte dann seinen Teil dazu beigetragen und uns die gegenwärtige Katastrophe beschert.
Es war das Observatorium gewesen.
Mein Observatorium!
Das Observatorium, dessen Bau ich vorgeschlagen hatte, war die unmittelbare Ursache für den Tod meiner Mutter, meines Vaters und meines Bruders. Das trieb den letzten Nagel in den Sarg meiner verhassten Vorschlagsbox, dieses Dreckskastens, dessentwegen sich der ganze Ort gegen meine Familie gewandt hatte, der meinen Bruder in die psychiatrische Klinik, dann in die Jugendstrafanstalt und nun ins Grab gebracht hatte (bildlich gesprochen, tatsächlich in einen Pappkarton, in dem zuvor kernlose Weintrauben gewesen waren). Ich hatte geglaubt, mit dem Observatorium die Seelen der Menschen zu bereichern, doch stattdessen hatte ich nur deren Untergang beschleunigt. Als mein Bruder in die Nervenklinik musste, hätte ich diese Vorschlagsbox, die ihn dort hineingebracht hatte, zerstören sollen; und als er dann die Vorschlagsbox zerstörte und dabei unserem einzigen Freund das Augenlicht raubte, hätte ich hingehen und alles zerstören sollen, was mit dieser Box in Zusammenhang stand, dieser Kiste, die mich plötzlich an den Karton in meinen Händen denken ließ, den Karton, der meinen Bruder enthielt. Ich ging weiter.
Ich vergaß weder Stanleys Warnungen noch die Kriminalbeamten, die so entschlossen waren, mich strafrechtlich zu belangen. Es war Zeit, endgültig abzuhauen. Außerdem gab es hier nichts mehr zu lernen. Zeit, neue Länder zu bereisen, um alte Gewohnheiten zu pflegen. Neue Sehnsüchte! Neue Enttäuschungen! Neue Prüfungen und neues Scheitern! Neue Fragen! Würde Zahnpasta überall gleich schmecken? Würde Einsamkeit in Rom weniger schmerzen? Würde sexuelle Frustration in der Türkei leichter zu ertragen sein? Oder in Spanien?
Das waren meine Gedanken, während ich mich durch das Schweigen der toten Stadt bewegte, durch die traumlose Stadt, diese Stadt, verkohlt und schwarz wie angebrannter Toast. Kratzt sie nicht ab! Hebt sie nicht auf! Schmeißt meine Stadt in den Müll! Sie ist karzinogen.
Die Asche meiner Kindheit verging zu kalten, harten Klumpen. Kein Wind konnte sie jetzt wieder zum Leben erwecken. Es war vorbei. Ich hatte keinen Menschen mehr auf der Welt. Australien war immer noch eine Insel, aber ich war nicht länger darauf ausgesetzt. Ich hatte endlich die Leinen losgemacht. Und sie war endlos, die freie See. Kein Horizont in Sicht.
Niemand kannte mich dort, wo ich nun hinging, niemand kannte meine Geschichte oder die Geschichte meines Bruders. Mein Leben war von jetzt an nicht mehr als eine geheime Anekdote, die ich preisgeben oder für alle Zukunft verschweigen konnte. Das lag ganz bei mir.
Ich verließ die Stadt zu Fuß, auf der langen, windigen und staubigen Straße, die aus ihr hinausführte.
Ich hatte das Gefühl, einen Vergnügungspark zu verlassen, ohne eine einzige Fahrt gemacht zu haben. Auch wenn ich die Stadt, die Leute und wie sie lebten immer gehasst hatte, hatte ich immerhin neben ihnen existiert. Aber ich war nie in den Strom des Lebens eingetaucht, und das war bedauerlich. Denn selbst für den miesesten Vergnügungspark
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