Vatermord und andere Familienvergnuegen
hatte geglaubt, sie sei hier.«
Das veranlasste ihn, konvulsivisch zu lachen, ein Lachen wie ein genetischer Defekt.
»Ich meinte den Tod Ihres Freundes.«
»Ach ja, das auch.«
»Lieben Sie dieses Mädchen?«
»Sie ist eine alte Freundin von daheim.«
»Australien«, sagte er gleichgültig und ließ den Namen meines Landes wie etwas klingen, das er mal besessen, aber dann weggeschmissen hatte. Ich sagte »Ähähm« & er stellte weitere Fragen. Was ich in Paris machte? Wie lang ich bleiben wollte? Wo ich wohnte? Ob ich arbeitete? Warum nicht & so weiter. Er bot an, mir in jeder erdenklichen Weise zu helfen. Geld oder Job oder Unterkunft. Ich dankte ihm & sagte, es werde allmählich spät.
»Würde es Sie sehr stören, wenn ich ein Foto von Ihnen mache?« Würde es.
»Na, kommen Sie schon. Es ist nur ein kleines Hobby von mir«, sagte er lächelnd.
Ich sah mich im Zimmer nach Beweisen für diese Behauptung um - eine Fotografie zum Beispiel -, doch die Wände waren nackt & als er ins Nebenzimmer ging um seinen »Apparat« zu holen wie er seine Kamera nannte was mir eine Gänsehaut verursachte denn immer wenn ich jemanden das Wort Apparat sagen höre sehe ich riesige glänzende Pinzetten mit einem einzelnen fetten Blutstropfen an der Spitze.
»Ich glaube, ich gehe jetzt besser mal«, sagte ich.
»Nur eine kleine Aufnahme. Ich mach auch ganz schnell«, sagte er m. starrem Lächeln wie ein zulackierter Fensterrahmen.
Während er seine Vorbereitungen traf, war ich sicher er würde mich auffordern meine Sachen auszuziehen. Er redete ununterbrochen und sagte Dinge wie: »Sie müssen es mir wirklich sagen, wenn ich etwas für Sie tun kann«, womit er mich nicht nur überzeugte, dass er mich gleich auffordern würde, meine Sachen auszuziehen, sondern auch, dass er seine eigenen ausziehen würde. Er machte eine weitere Lampe an - eine einzige Glühbirne strahlte eine Milliarde Watt ab & er fotografierte mich im Sessel sitzend & aufstehend & wie ich meinen Mantel anziehe & zur Tür rausgehe.
»Kommen Sie doch morgen Abend zum Essen«, sagte er.
»Okay«, log ich & eilte hinaus & ging auf dem Heimweg noch mal für ein letztes Lebwohl bei Lionel auf dem Friedhof vorbei wo ich versuchte feierlich zu sein & Reue Trauer Verlust irgendwas zu empfinden Ich holte tief Luft half auch nichts ich konnte gar nichts anderes als Selbstekel empfinden - ich hatte so lange gezögert, dass ich einen möglichen Wendepunkt in meinem Leben verpasst hatte, wann würde der nächste kommen? Ich hatte mir unser Wiedersehen tausendfach ausgemalt Caroline war der eigentliche Anlass für meine Anwesenheit in Europa oder um es geradeheraus zu sagen dass ich überhaupt am Leben war und aus Angst & Unentschlossenheit hatte ich sie verpasst.
Ich trat in einem Anfall ohnmächtiger Wut gegen den Grabstein, aber dann dachte ich wieder an Lionel. Versuchte erneut, traurig zu sein, hatte aber in meinem Herzen keinen Platz, um ihn zu betrauern. Zu traurig aus Liebeskummer.
Gefühllose Huldigung an meinen alten Freund durch leise Schritte auf Gras unterbrochen - Eddie am Eingang des Friedhofs mit Händen in den Taschen starrt hoch. Ich tue so, als sähe ich ihn nicht & eile davon in die Nacht und denke an Pinzetten.
Ich schon wieder
Kann nicht so tun als würden die Missgeschicke anderer Leute mich nicht sonderlich amüsieren sie tun es nämlich - nicht Tod oder Krankheit aber etwa wenn ein öffentliches Telefon das Geld von jemandem schluckt und sich dann weigert ein Gespräch durchzustellen ist das verdammt lustig. Ich könnte den ganzen Tag dabei zuschauen wie Menschen auf Telefone einschlagen.
Ich habe einen genialen Platz zum Nachdenken gefunden - eine der kühlen dunklen Pariser Kathedralen. Natürlich unterhalten sich dort Gläubige die so dumm sind wie Patrioten doch die Gespräche verstummen wenn sie m. Gott reden. Wie dumm dass wir glauben Gott höre unsere Gedanken nur wenn wir sie eigens an ihn richten & nicht wenn wir unsere schäbigen Alltagsgedanken denken wie Ich hoffe Fred stirbt bald damit ich sein Büro bekomme das ist wirklich viel schöner als meins. Glaube ist unser Deal m. Gott dass er das Geflüster unseres Hirns nicht belauscht, es sei denn, er wird dazu eingeladen.
Cafe Gitane
Monatelang keine Einträge. Verrückt vor Einsamkeit verrückt vor Unentschlossenheit verrückt vor eingebildeten Augen. Tage gefüllt m. Herumlaufen Denken Lesen Trinken Rauchen & generell bemüht das Schloss des Lebens zu knacken
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