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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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ich sie zerriss dachte ich Vorsätze fürs neue Jahr sind das Eingeständnis dass wir längst wissen dass die Schuld für unser Unglück bei uns selbst liegt & nicht bei anderen.
    Lief bis Mitternacht durch die Straßen inmitten all dieser Pariser die sich vollsogen mit Glück & kam mir dumm vor & fehl am Platz in meinem Missmut & es schien mir klar zu sein, dass Einsamkeit das Schlimmste auf der Welt ist & man den Menschen immer alle Kompromisse verzeihen sollte die sie in Liebesdingen eingehen.
    Um Mitternacht steckte ich mir die Finger in die Ohren doch es half nichts - ich hörte es trotzdem. Der Countdown zum neuen Jahr hin war das Schlimmste was ich je gehört hatte.
    Ich lief weiter. Das Fenster meines Stammcafes leuchtete als Kreis gepunkteter Lichter aus dem Nebel. Ich trat ein ein fetter Barmann schenkte mir grinsend Champagner ein. Ich nahm ihn & wünschte ihm frohes neues Jahr auf Französisch. Alle Stammgäste darauf erpicht zu wissen wer ich war & setzten mir m. Fragen zu & stießen Laute des Schocks aus als ich sagte bin aus Australien - meine Heimat für sie nicht näher als der Mond. Wurde betrunken & erwiderte Fragen m. Fragen & fand heraus wer Kinder hat wer geschieden war wer Darmkrebs hatte wer kleineren Literaturpreis für ein Gedicht mit dem Titel »Die Kaidaunen des Lebens« gewonnen hatte wer erdrückende finanzielle Schwierigkeiten hatte & wer zu den Freimaurern gehörte aber verrat es keinem.
    4 Uhr nachts - bemerkte Frau an anderem Ende der Theke. Hatte sie nicht hereinkommen sehen. Sie hatte ein wunderbar knochiges Gesicht & trug einen schwarzen Pelzhut & als sie ihn absetzte ergoss sich Haar über ihr Gesicht bis in den Champagner. Sie hatte sehr viel Haar. Es fiel ihr über den Rücken. Es fiel in meine Seele. Es bedeckte ihre Schultern & meine Gedanken.
    Ich beobachtete wie sie trank & dachte ihr Gesicht ist eins das man sich erst verdienen muss - in diesem Gesicht war ein Lebensüberdruss als habe sie schon alle Akte der Schöpfung & der Zerstörung gesehen & sei im Flaschenhals der Geschichte stecken geblieben & nackt herausgekrochen über endlose Meilen zerbrochener Leiber & Maschinenteile & dann in dieser Bar hier aufgetaucht um sich mit einem schnellen Glas Champagner den Geschmack des Holocaust aus dem Mund zu spülen.
    Der Alkohol verlieh mir Mut & ich ging hinüber ohne mir eine Eröffnungszeile zurechtzulegen.
    »Bonsoir, Mademoiselle. Parlez-vous anglais?«, fragte ich.
    Sie schüttelte den Kopf als sei ich ein Polizist der sie nach einer Vergewaltigung verhöre daher zog ich mich zurück & nahm meinen Platz am Ende der Theke wieder ein. Gedemütigt kippte ich Champagner auf ex & als ich aufblickte sah ich sie kommen.
    »Ich spreche Englisch«, sagte sie und setzte sich auf den Hocker neben mir. Schwierig ihren Akzent zu verorten europäisch aber nicht französisch. Ertappte sie wie sie ohne Hemmungen mein verstümmeltes Ohr anstarrte & bevor ich mich versah legte sie einen Finger auf die Narbe & mir gefiel dass in ihren Augen kein Mitleid stand nur milde Neugier. Mitleid ist die schrecklich verblödete Schwester von Einfühlungsvermögen. Mitleid weiß nichts mit sich selbst anzufangen deswegen macht es bloß Oooooo-ohhhhhh.
    Sie überraschte mich noch mehr dadurch dass sie nicht fragte.
    »Hast du auch irgendwelche Narben?«, fragte ich.
    »Ich habe nicht einmal Kratzer«, antwortete sie gedämpft als läge eine Hand über ihrem Mund.
    Ihre Strickjacke war gerade weit genug geöffnet dass man ein enges schwarzes T-Shirt sah und darunter kleine aufregende Brüste wie hart gekochte Eier.
    Ich ließ mein dünnes Lächeln vor ihrer Nase baumeln & fragte was sie in Paris mache.
    »Nichts, meistens.«
    Nichts meistens. Diese ominösen Worte spielten eine Weile in meinem Kopf, ordneten sich neu (meistens nichts) & starben schließlich dort.
    Lust nahm erstaunliche Ausmaße an und es war als würden meine heimlichen Gedanken über Megafon ausposaunt. Sie fragte mich wo ich herkäme & das sagte ich ihr & sah zu wie sich in ihren Augen Ansichten über ein Land spiegelten das sie nie gesehen hatte. »Ich wollte immer mal nach Australien«, sagte sie, »aber ich bin sowieso schon zu viel gereist.« Wir redeten eine Weile über die Erde & und mir fiel kaum ein Land ein in dem sie nicht gestrandet war. Sie erzählte mir sie spreche Englisch Französisch Italienisch Deutsch Russisch. Mehrere Sprachen zu beherrschen macht Eindruck auf mein faules australisches Gehirn.
    Akzeptierte diese

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