Vatermord und andere Familienvergnuegen
Der Oberkommandierende spürte, dass ich zu zögern begann, und kreischte in mein Ohr, also ging ich zur Haustür & klopfte. Biss mir auch auf die Unterlippe, obwohl's der große Boss nicht befohlen hatte.
Türknauf drehte sich langsam & erbarmungslos, um pure Qual zu verlängern. Schließlich ging die Tür auf und zeigte eine kleine, untersetzte Frau, genauso breit wie hoch - anders gesagt: ein perfektes Quadrat.
»Oui?«
»Caroline Potts, sie ist hier?«, fragte ich in perfekter englischer Übersetzung des grammatisch korrekten Französisch. Die Frau schwatzte in ihrer Muttersprache daher & schüttelte den Kopf. Caroline wohnte hier nicht mehr.
»Und Monsieur Potts? Der blinde Mann?«
Sie sah mich verständnislos an.
»Blind. Keine Augen. Keine Augen«, wiederholte ich idiotisch und dachte: Ach, dürfte ich mal reinkommen & an ihrem Kissen riechen?
»Hallo!«, rief eine Stimme vom Fenster im ersten Stock. Ein asiatisches Gesicht hing dort heraus und hielt nach einem passenden Körper Ausschau. »Warten Sie einen Moment!«, rief das Gesicht & kam atemlos heruntergerannt.
»Sie suchen das Mädchen & den blinden Mann!«
»Ja!«
»Ich bin Eddie.« »Und?«
»Und nichts. Das Mädchen ist vor einem Monat weg, nachdem der blinde Mann gestorben ist.« »Gestorben? Sind Sie sicher?
»Natürlich bin ich sicher. Ich war auf der Beerdigung. Wie heißen Sie?«
»Martin. Wie ist er gestorben?«
»Ich habe ihnen jeden Tag von meinem Fenster aus zugeschaut. Jeden Tag ist sie mit ihm zum Einkaufen gegangen, damit er wusste, wo Löcher in der Straße sind, aber an diesem Tag ging er alleine. Er muss die Orientierung verloren haben, denn er lief mitten auf die Straße und blieb einfach dort stehen.«
»Er wurde überfahren?«
»Nein, er hatte einen Herzinfarkt. Er liegt auf dem Friedhof des Viertels hier. Wollen Sie sein Grab sehen? Ich könnte Sie hinbringen. Na los«, sagte er und knöpfte seinen Mantel zu, aber ich zögerte. Etwas an seiner Art war alarmierend: Seine Hände vollführten grazile Bewegungen & und seine Stimme hatte einen versöhnlichen Tonfall, so als hätten wir uns gestritten & er wolle sich wieder mit mir vertragen.
»Wollen wir nicht Ihren toten Freund besuchen gehen?«, säuselte er & ich dachte, ich mag diesen Mann nicht, obwohl ich eigentlich keinen Grund dazu habe, aber was soll's? Ich wurde schon von Leuten nicht gemocht, die mich bei einer Gegenüberstellung nicht mal erkannt hätten.
Unter einem grauen Himmel gingen wir schweigend eine gleich farbige Straße lang zum Gipfel eines Hügels. Der Friedhof war nur hundert Meter entfernt - zum Sterben eine gute Wohngegend. Auf dem Grabstein standen nur sein Name & seine Lebensdaten & sonst nichts kein kleiner geistreicher Spruch gar nichts. Ich fragte mich, ob Lionel sofort tot gewesen war oder beim letzten Atemzug noch einen banalen Vorsatz hegte wie: Muss Milch kaufen. Dann dachte ich an die Todesfälle, die ich kannte - dass Harry seinen Tod selbst gewählt hatte & Terry höchstwahrscheinlich von seinem überrascht wurde & und wie meine Eltern ihren wie eine unangenehme Überraschung empfunden haben mussten wie eine Rechnung in der Post von der sie glaubten sie sei längst bezahlt.
Eddie lud mich zu sich zum Glühweintrinken ein. Sein kleines, spärlich möbliertes Zimmer roch nach einer Mischung aus verbrannten Orangenschalen & den Wangen alter Frauen, die zu küssen man auf Familienfeiern genötigt wird. Der Teppich war von großen schmierigen Flecken geziert, der Raum sprach beredt von den Schlabbereien ungeschickter Trottel, die hier zuvor gewohnt hatten.
Wir aßen Sandwiches und tranken Glühwein. Eddie war einer von denen, die sich darauf verstehen, ihre ganze Lebensgeschichte in weniger als einer Minute zu erzählen. In Thailand geboren. Medizin studiert - nie praktiziert. Weit gereist. Jetzt mal Paris ausprobieren.
Nichts dazu zu sagen.
Konversation floss wie Wasser in Toilettenspülung. Er starrte mich so intensiv an, dass ich das Gefühl hatte meine Augen wären kleine Taschenspiegel & er würde gucken wie sein Haar sitzt.
Wurde schnell Abend - machte mich kribbelig, dass er kein Licht machte. Schielte zur Uhr an der Wand hatte aber Angst mich zu bewegen falls der Idiot die stickigen Freuden des Schattens bevorzugte würde ich es auch tun. Schließlich griff er hinter sich & machte eine Lampe an. Kleines Licht flammte auf & füllte meine Augen aus.
»Da haben Sie heute also eine Enttäuschung erlebt«, sagte er.
»Ja, ich
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