Vatermord und andere Familienvergnuegen
Hauttransplantation?
Dad verbrachte eine Nacht im Krankenhaus. Ich fühlte mich verpflichtet, ihm Blumen zu kaufen, obwohl mir klar war, dass er sie nicht zu würdigen wusste. Jemandem, der Schmerzen leidet, von der Flora etwas mitzubringen, hielt ich ohnehin für deplatziert (wie wär's mit einem Fläschchen Morphium?), aber ich fand ein paar riesige Sonnenblumen. Er würdigte sie nicht. Mir war es egal. Entscheidend war, dass die Operation gut verlaufen war. Der Arzt sagte, er sei sehr zufrieden. Ein kleiner Tipp: Frag gar nicht erst nach dem Befinden des Patienten, das ist Zeitverschwendung. Wie es dem Arzt geht, das ist wichtig. Und Dads Arzt war im siebten Himmel.
Ich sah zu, wie der Verband abgenommen wurde. Um die Wahrheit zu sagen, die Spannung hatte einen derartigen Pegel erreicht, dass ich irgendwas Grandioseres erwartet hatte: ein riesiges Ohr, das man auch als Flaschenöffner benutzen konnte, oder ein Zeitreiseohr, das Gespräche aus der Vergangenheit auffing, oder ein Universalohr, mit dem alle Menschen auf der Welt gleichzeitig hörten, oder ein Ohr der Pandora oder ein Ohr mit einem kleinen roten Licht, das aufleuchtete, sobald es etwas hörte. Im Grunde das Ohr, das alle anderen Ohren überflüssig machte. Aber es war nichts dergleichen. Es war ein stinknormales Ohr.
»Sprich mal rein«, sagte Dad. Ich ging ums Bett herum und beugte mich zu der Neuerwerbung hinunter.
»Hallo. Test. Test. Zwei. Zwei. Zwei.«
»Gut. Es funktioniert«, sagte er.
Als er aus dem Krankenhaus entlassen wurde und sich in die Welt hinauswagte, konnte er es kaum abwarten, endlich einen Blick auf sich selbst werfen zu können. Die Welt tat ihm den Gefallen. Dad konnte plötzlich nicht mehr geradeaus gehen. Der Weg von A nach B führte nun stets über die Seitenspiegel parkender Autos, Schaufenster oder Wasserkessel aus Edelstahl. Wenn man auf sein Äußeres fixiert ist, merkt man erst, wie viele spiegelnde Flächen im Kosmos existieren.
Eines Nachts kam er zu mir und blieb hörbar atmend in der Tür stehen.
»Hast du Lust, mit meiner Kamera herumzuspielen?« »Drehst du Pornos?« »Warum sollte ich Pornos drehen?« »Das wissen nur du und dein Biograf.« »Ich hätte nur gerne, dass du ein paar Bilder von meinem Ohr knipst, für das Album.« »Das Ohr-Album?«
»Vergiss es.« Dad hatte schon kehrtgemacht. »Warte.«
Er tat mir leid. Dad schien sich selbst nicht mehr wiederzuerkennen. Äußerlich sah er jetzt vielleicht präsentabler aus, aber sein Inneres war um eine Größe eingelaufen. Ich spürte, dass die ganze Sache etwas Ominöses hatte, als habe er sich zwar ein neues
Ohr anbringen, damit aber einen wesentlichen Teil seiner selbst amputieren lassen.
Auch nach der Operation ging er jeden Tag arbeiten. Wieder einmal war kein Geld da. Wieder einmal änderte sich nichts in unserem Leben.
Ich sagte: »Okay. Was stellst du jetzt mit dem Geld an?«
Er sagte: »Ich spare wieder.«
Ich sagte: »Für was?«
Er sagte: »Ist eine Überraschung.«
Ich sagte: »Die letzte Überraschung war beschissen.«
Er sagte: »Diese wird dir gefallen.«
Ich sagte: »Wehe, sie ist es nicht wert.«
Sie war es nicht wert. Es war ein Auto. Ein flotter roter Sportwagen. Als ich nach draußen kam, um ihn mir anzusehen, stand mein Vater daneben und tätschelte ihn, als hätte er gerade ein Kunststück vollbracht. Ganz ehrlich, ich hätte nicht schockierter sein können, wenn er sein Geld für Wahlkampfspenden zum Fenster hinausgeschmissen hätte. Mein Dad? Ein Sportwagen? Blanker Irrsinn! Es war nicht nur albern, es war Albernheit par excellence. War es eine Verirrung? Ein Anzeichen für einsetzenden Verfall? War es Kapitulation oder Eroberung? Welchen Teil seiner selbst wollte er damit kitten? Eines war klar: Er brach seine eigenen Tabus.
Es war komisch zu sehen, wie er in diesen Sportwagen einstieg, einen 1979er MGB. Wenn er angeschnallt hinter dem Steuer saß, sah er so angespannt aus wie der erste Astronaut.
Heute vermute ich, es war ein tapferer Versuch, ein genialer Akt der totalen Missachtung seiner eigenen Person und der Stimmen in seinem Inneren, die ihn in eine bestimmte Schublade stecken wollten. Dad in diesem Sportwagen, das war ein Mann, der sich von Grund auf neu erfand. Eine Wiedergeburt, die nicht lebensfähig sein konnte.
»Kommst du mit?«
»Wohin?«
»Wir machen eine Spritztour.«
Ich steige ein. Ich bin jung. Ich bin auch nur ein Mensch. Natürlich liebe ich das Auto. Ich finde das Auto so was von geil.
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