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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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ein Manager? Mein Dad? Wie hatte Eddie seine zwielichtigen Kumpel dazu überreden können, meinem Dad eine solche Position anzuvertrauen? Einen Job mit Verantwortung? Mein Dad? Das musste ich mit eigenen Augen sehen.
    Eines Abends steuerte ich meinen Wagen durch Kings Cross, auf Seitenstraßen, die nichts anderes waren als langgezogene öffentliche Pissoirs, vorbei an betrunkenen englischen Touristen, ein paar Junkies mit glasigem Blick und einem Skinhead, der von seiner eigenen Fassade angeödet zu sein schien. Als ich die Bar betrat, krakeelte eine nicht mehr ganz junge Nutte irgendwas vom Lutschen, und ihre krächzende Stimme evozierte ein widerliches Bild verwelkter Lippen in Aktion. Ein Rausschmeißer packte mich beim Wickel und schnürte mir mit meinem eigenen Hemdkragen so lange den Hals zu, bis ich ihm sagte, dass ich hier sei, um meinen Vater zu sehen. Er ließ mich ein.
    Mein erstes Mal in einem Striplokal, und das als Familienbesuch!
    Es war nicht gerade das, was ich mir vorgestellt hatte. Die Stripperinnen schüttelten sich lustlos, wippten unter grellen Scheinwerfern zu eintöniger Tanzmusik vor geifernden, sprachlosen Anzugträgern auf und ab. Sicher, ich war begeistert darüber, so viel glattes, biegsames Fleisch auf einmal zu sehen, aber ich war doch weniger erregt, als ich erwartet hatte. Im wirklichen Leben sind fast nackte Frauen, die sich an Stangen reiben, längst nicht so sexy, wie man meint.
    Ich entdeckte Dad, der in das Telefon hinter der Theke brüllte, und steuerte auf ihn zu. Mit einem Stirnrunzeln brachte er mich dazu, stehen zu bleiben.
    »Was hast du hier zu suchen, Jasper?«
    »Ich seh mich nur um.«
    »Gefällt dir, was du siehst?«
    »Hab schon Besseres gesehen.«
    »In deinen Träumen.«
    »Nein, auf Video.«
    »Tja, hier kannst du nicht bleiben. Du bist minderjährig.«
    »Was machst du hier eigentlich genau?«, fragte ich.
    Er zeigte es mir. Es war gar nicht so einfach. Zum einen war da der Barbetrieb, und auch wenn sich davor nackte Frauen räkelten, musste die Bar betrieben werden wie jede andere auch. Er suchte auch die Frauen aus; sie kamen zu ihm und tanzten ihm vor. Als verstünde er irgendetwas vom Tanzen! Oder von Frauen! Wie hielt er sie nur aus, all diese geschmeidigen, erotischen Geschöpfe, die ihm tagaus, tagein ihre betörenden Kurven und Täler präsentierten? Die Lebenskraft ist wie eine heiße Kartoffel; vielleicht muss man für unreine Gedanken nach dem Tod in der Hölle schmoren, aber hier auf Erden wird einem eher heiß, wenn man diese Gedanken nicht verwirklichen kann.
    Natürlich weiß ich nicht alles über ihn. Vielleicht hat er seinen lüsternen Fantasien nachgegeben. Vielleicht hat er mit jeder Tänzerin dort gefickt. Ich kann es mir nicht bildlich vorstellen, aber welcher Sohn könnte das schon?
    Die Arbeit in diesem allerliebsten Sündenpfuhl also hatte er sich ausgesucht, um seine Familie - mich - zu ernähren und Geld beiseitezulegen. Aber wofür? Um meine Neugier ein wenig zu dämpfen, griff er seine Ersparnisse an und kaufte mir ein kleines Geschenk: vier Fische in einem schmuddeligen kleinen Aquarium. Sie sahen aus wie Goldfische, nur schwarz. Sie überlebten in unserer Wohnung ganze drei Tage, bevor sie an Überfütterung zugrunde gingen. Offensichtlich hatte ich sie überfüttert. Offensichtlich sind Fische schreckliche Vielfraße, ohne jede Selbstkontrolle, die einfach nicht wissen, wann sie genug haben, und sich an den faden kleinen beigefarbenen Flocken, genialerweise »Fischfutter« genannt, totfressen.
    Ich musste ihr Hinscheiden ohne Dad betrauern. Er war zu sehr von seinen Stripperinnen in Anspruch genommen. Das legte sich für einen Mann krumm, der sein halbes Arbeitsleben lang gar nicht gearbeitet hatte. Letzten Endes musste ich mehr als ein Jahr warten, bis ich erfuhr, wofür er sparte. Manchmal machte mich das verrückt, aber ich kann ungeheuer viel Geduld aufbringen, wenn sich das Warten lohnt.
    Es hat sich nicht gelohnt. Wahrhaftig nicht.
     
    Ich war dreizehn, als ich eines Tages nach Hause kam und sah, wie mein Vater das riesige Hochglanzfoto eines Ohrs hochhielt. Das sei es, eröffnete er mir, worauf er gespart habe. Ein Ohr. Ein neues Ohr, um das alte zu ersetzen, das in dem Feuer, das seine Stadt und seine Familie vernichtet hatte, verunstaltet worden war. Er wollte zu einem plastischen Chirurgen gehen, um sich zu dedeformieren. Dafür hatten wir gespart? Welch eine Enttäuschung. Wo blieb der Spaß bei einer

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