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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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frischen Blumen bedeckt. Das hier war keine deformierte Liebe und kein leerer Sarg. Ich dachte an meinen Vater, und wie der eine von uns der Wirt war und der andere der Parasit. Wer von uns was war, wusste ich nicht. Mir schien, als könnten wir nicht beide überleben und dass eines Tages einer von uns zwangsläufig verschwinden müsste. Es schien mir, als würden wir gegeneinander um die Vorherrschaft über die Seele kämpfen müssen. Und ich glaubte, ich wäre bereit dazu, ihn umzubringen, um zu überleben.
    Das waren unheimliche Gedanken, aber schließlich war ich ja auch auf einem Friedhof.
     

TEIL DREI

1
    In den Zeitungs- und Fernsehberichten, die unmittelbar nach dem Tod meines Vaters erschienen waren, wurden die frühen bis mittleren 199oer-Jahre besonders aufgebauscht, die Periode der wüstesten Exzesse seines sogenannten Irrsinns. Bemerkenswert war diese Epoche nicht nur wegen der Ankunft von Anouk Furlong (wie sie sich damals nannte) - einer Frau, die an seinem sich anbahnenden Nervenzusammenbruch keinen geringen Anteil hatte -, es waren die turbulenten Jahre der Striplokale, Nervenkliniken, Gesichtsoperationen, Festnahmen und allem, was sonst noch geschah, als mein Vater versuchte unser Haus zu verstecken. Das alles kam so:
    Eines Tages beendete Dad unsere friedvolle Verwahrlosung mit einem Paukenschlag: Er suchte sich einen Job. Er tat es für mich und hörte nie auf, mich daran zu erinnern. »Wenn es nur um mich ginge, könnte ich weiterhin den Sozialstaat schröpfen, aber für zwei wird es trotzdem nicht reichen. Du hast mich unter das Joch der arbeitenden Bevölkerung getrieben, Jasper. Das werde ich dir nie verzeihen!«
    Wieder war es Eddie, der Arbeit für ihn fand. Ein Jahr nach Dads Rückkehr aus Paris stand Eddie plötzlich vor unserer Wohnungstür, zur großen Überraschung von Dad, der in seinem ganzen Leben keine dauerhafte Freundschaft gekannt hatte, schon gar keine, die sich über mehrere Kontinente erstreckte. Eddie hatte Paris gleich nach uns verlassen und war nach Thailand zurückgekehrt, ehe er dann nach Sydney übersiedelte.
    Jetzt, elf Jahre später, hatte er Dad zum zweiten Mal Arbeit besorgt. Ich hatte keine Ahnung, ob diese neueste Anstellung ihn mit ähnlich dunklen Gestalten zusammenbringen und ebenso gefährlich sein würde. Es war mir, ehrlich gesagt, egal. Ich war zwölf Jahre alt, und erstmals in meinem Leben verließ Dad regelmäßig die Wohnung. Ohne seine erdrückende Anwesenheit war mein Leben leichter, und ich fühlte mich frei, wenn ich meine Cornflakes aß, ohne immer und immer wieder hören zu müssen, dass der Mensch das Schlimmste war, was der Menschheit je hatte passieren können.
    Dad arbeitete ununterbrochen, und es war nicht etwa so, dass die langen Stunden, in denen er nicht bei mir war, mich einsam machten (das war ich schon), aber irgendetwas daran machte mich stutzig. Natürlich ist es nicht ungewöhnlich, dass Väter ständig arbeiten, denn sie müssen ja für die Brötchen sorgen, und die werden nun mal in Büros, Kohlebergwerken und Baustellen verdient, aber bei uns zu Hause fand sich kein Anhaltspunkt dafür, wo diese Brötchen blieben. Bald sann ich jeden Tag darüber nach. Wo zum Teufel stecken unsere Brötchen? Ich fragte mich das, weil meine Freunde in Häusern, nicht in Wohnungen lebten und weil ihre Kühlschränke immer mit etwas Essbarem gefüllt waren, unserer hingegen mit gähnender Leere. Dad arbeitete jeden Tag, und zwar von früh bis spät, aber wir schienen nicht mehr Geld zu haben als in der Zeit seiner Arbeitslosigkeit. Nicht einen Cent.
    Eines Tages fragte ich ihn: »Wohin wandert das ganze Geld?«
    Er fragte: »Welches Geld?«
    Ich sagte: »Das Geld, das du mit deinem Job verdienst.« Er sagte: »Ich spare.« Ich sagte: »Worauf?« Er sagte: »Das ist eine Überraschung.« Ich sagte: »Ich hasse Überraschungen.« Er sagte: »Du bist zu jung, um Überraschungen zu hassen.« Ich sagte: »Na schön, ich mag Überraschungen, aber ich will auch gerne wissen, was los ist.«
    Er sagte: »Tja, beides geht nicht.«
    Ich sagte: »Wie war's, wenn du es mir sagst, und ich vergesse es dann?«
    Er sagte: »Ein Vorschlag: Ich überlasse es dir. Du kannst die Überraschung haben, oder ich sage dir, worauf ich spare. Such es dir aus.«
    Das war ein Totschlagargument. Am Ende entschied ich mich dafür zu warten.
    Während ich wartete, plauderte Eddie aus, dass Dad in Kings Cross ein Striplokal namens Fleshpot leitete. Ein Striplokal? Mein Dad? Er und

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