Vatermord und andere Familienvergnuegen
Barhocker weiter, näher zu ihr hin.
»Was halten Sie von der Band?«, fragte er. »Eigentlich ist die Musik nicht so mein Fall. Darf ich Sie zu einem Drink einladen? Was halten Sie von der Band?«
Sie gab ein Lachen von sich, das eher ein Gurgeln war, da es nicht weiter als bis zu ihrer Kehle kam. Nach einer fetten Minute, in der nichts geschah, hatte Dad es satt, ihr Profil anzustarren, daher rutschte er wieder auf seinen alten Hocker zurück. Er kippte sein Bier in einem Zug hinunter.
»Glaubst du, dass du jemals heiratest?«, fragte ich.
»Ich weiß es nicht, Kumpel.«
»Möchtest du denn?«
»Ich bin mir nicht sicher. Einerseits will ich nicht mein Leben lang allein bleiben.«
»Du bist nicht allein. Ich bin ja da.« »Ja, das stimmt«, sagte er lächelnd. »Und andererseits?«, fragte ich. »Was?«
»Du hast gesagt: einerseits will ich nicht mein Leben lang allein bleiben.«
»Oh. Hm. Mist. Ich kann mich nicht erinnern. Ist einfach weg.«
»Vielleicht gibt es kein >andererseits<.« »Ja, vielleicht.«
Ich sah zu, wie Dads Blicke der Blondine folgten, während sie von der Theke zu einem Tisch voller Frauen ging. Sie musste etwas über uns gesagt haben, denn sie schauten alle herüber, und es war ziemlich offensichtlich, dass sie Dad in Gedanken anspuckten. Er tat so, als würde er aus seinem leeren Glas trinken. Von der ganzen Szene wurde mir schlecht, also beobachtete ich abwechselnd die Garderobe und den bösartigen, blauroten, mörderischen Mund des Architekturstudenten, den ich mir hoch oben in einem Büro vorstellte, von dem aus er auf tausend tote Menschen und die silbernen Arme seiner zerstörten Brücke hinabsah.
Der rote Parka hing immer noch da und vertrieb sich die Zeit. Es wurde spät. Ich war müde. Meine Augenlider wollten sich endlich schließen.
»Können wir gehen?«
»Wann schließt diese Bar?«, fragte Dad den Mann hinter der Theke.
»Gegen sechs.«
»Scheiße«, sagte mein Vater zu mir und bestellte sich noch ein Bier. Offensichtlich wollte er die ganze Nacht bleiben, wenn es nicht anders ging. Und was hinderte ihn daran? Zu Hause wartete niemand auf uns, niemand legte die Stirn vor Sorge in Falten. Kein Lippenpaar wartete darauf, uns einen Gutenachtkuss zu geben. Es würde uns niemand vermissen, wenn wir überhaupt nie wieder nach Haus gingen.
Ich legte meinen Kopf auf die Theke. Unter meiner Wange war irgendwas Feuchtes, Klebriges, aber ich war zu müde, um mich von der Stelle zu rühren. Dad saß kerzengerade auf dem Barhocker, wachsam, und beobachtete die Garderobe. Ich döste ein. Ich träumte, ein Gesicht schwämme mir aus der Dunkelheit entgegen. Nur ein Gesicht, sonst nichts. Das Gesicht schrie, aber der Traum war stumm. Es war entsetzlich. Ich erwachte, als ein feuchter Lappen mein Gesicht berührte.
»Nimm mal den Kopf weg, bitte.«
Es war der Barkeeper, der die Theke abwischte.
»Was ist los?«
»Ich mache zu.«
Ich schmeckte Salz. Ich rieb mir die Augen. Ich hatte im Schlaf geweint. Das verwirrte mich. Ich erinnerte mich nicht, dass das Gesicht traurig gewesen war - nur beängstigend. Der Barkeeper sah mich mit einem Blick an, der mir sagte, dass ich kein richtiger Mann sein würde, solange ich im Schlaf weinte. Ich wusste, dass das die Wahrheit war, aber was konnte ich dagegen tun?
»Wie spät ist es?«
»Halb sechs.«
»Haben Sie meinen...«
»Er ist da drüben.«
Dad stand an der Garderobe und wippte auf den Zehenspitzen. Ich reckte den Hals und sah den roten Parka immer noch dort hängen. Es waren nur noch eine Handvoll Leute in der Bar: der Kerl mit dem blauroten Mund, eine Frau mit wütendem Gesicht und rasiertem Kopf, ein bärtiger Mann, der das Gesicht voller Ringe hatte, ein chinesisches Mädchen in einem Einteiler und ein Typ mit dem dicksten Bierbauch, den ich je gesehen hatte.
»Ich schließe jetzt«, sagte der Barmann. »Und gehe heim zu Frau und Kindern.«
Darüber mussten alle lachen. Ich verstand nicht, was daran so komisch war. Ich ging zu Dad und wartete.
»Wie hast du geschlafen?«, fragte er.
»Mir ist schlecht.«
»Was fehlt dir?«
»Was hast du vor, wenn du ihn erwischst?«
Dad gab mir mit seiner Augenbrauen zu verstehen, dass er meine Frage dumm fand. Die Stammgäste gingen einer nach dem anderen. Schließlich beugte sich die Frau mit dem rasierten Kopf über die Theke der Garderobe.
»Das ist meiner«, sagte sie. »Der rote.«
Das war unser Mann - unsere Frau vielmehr. Die Übeltäterin. Die Vandalin. Die Garderobiere gab
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