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Vatermord und andere Familienvergnuegen

Vatermord und andere Familienvergnuegen

Titel: Vatermord und andere Familienvergnuegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Toltz
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Aber irgendwas daran ist falsch, als würde man seinen Kindergärtner bei unsittlichen Handlungen ertappen.
    »Warum hast du den gekauft?«, fragte ich.
    »Warum?«, fragte er zurück und gab Gas. Er versucht, sich selbst abzuhängen, dachte ich, und irgendwie konnte ich seinen Verstand knacken und knirschen hören. Sein Job, sein Anzug, sein neues Ohr und jetzt noch dieser Wagen: Er erzeugte unerträgliche Spannung zwischen den Ich. Irgendwann, dachte ich, gibt es einen Knacks, und dies wird kein schöner Anblick werden.

2
    Dann kam der Knacks. Schön war er tatsächlich nicht.
    Wir saßen in einem überfüllten Chinarestaurant, und Dad bestellte Hühnchen in Zitrone.
    »Sonst noch etwas?«, fragte der Kellner.
    »Nur etwas gekochten Reis und die Rechnung.«
    Dad bezahlte immer gerne vor dem Essen, damit er gehen konnte, sobald er den letzten Bissen hinuntergeschluckt hatte. In einem Restaurant zu sitzen, ohne zu essen, das konnte er nicht ertragen. Die Ungeduld überkam ihn anfallartig. Leider bleibt einem in manchen Restaurants nichts anderes übrig, als nach dem Essen zu bezahlen. In diesem Fall erhob sich Dad, um zu demonstrieren, dass er damit nichts mehr zu tun haben wollte. Dann rief er nach der Rechnung, als flehe er um sein Leben. Manchmal trug er seinen Teller in die Küche. Manchmal wedelte er mit Geldscheinen unter der Nase des Kellners herum. Manchmal öffnete er die Kasse, zahlte die Rechnung und gab sich selbst das Wechselgeld heraus. Das hassten sie.
    An jenem Abend hatte Dad einen Tisch am Fenster und starrte hinaus, das Gesicht auf »gelangweilt bis zum Gehtnichtmehr« gestellt. Ich begleitete ihn, aber nur er aß etwas. Ich war im Hungerstreik aus irgendeinem heroischen Grund, an den ich mich nicht mehr erinnern kann, aber das muss in der Zeit gewesen sein, als wir siebenundachtzig Abende in Folge auswärts essen waren. In den vergangenen Zeiten hatte Dad gekocht, aber diese Zeiten waren mittlerweile sehr, sehr alt.
    Wir schauten beide nach draußen auf die Straße, weil das sehr viel weniger anstrengend war, als sich zu unterhalten. Unser Auto war hinter einem weißen Lieferwagen geparkt, und daneben stritt sich ein Paar im Gehen. Sie zog an seinem schwarzen Pferdeschwanz, und er lachte. Die beiden kamen direkt bis zum Fenster und stritten sich vor uns weiter, als gäben sie uns eine Vorstellung. Es war eine kühne darstellerische Leistung. Der Kerl bog sich nach allen Seiten mit breit grinsendem Gesicht und versuchte, seine Begleiterin dazu zu bringen, seine Haare loszulassen. Es sah aus, als täte es weh, so an den Haaren gezogen zu werden, aber er hörte partout nicht auf zu lachen. Nun, da ich älter bin, weiß ich natürlich, warum er nicht aufhörte zu lachen; ich weiß, er hätte auch weiterlachen müssen, wenn sie ihm den Kopf abgerissen, in den Rinnstein geworfen, daraufgepisst und dann angezündet hätte. Noch während ihm die Pisse in den Augen brannte, hätte er gekichert, und ich weiß, warum.
    Das Zitronenhühnchen kam.
    »Bist du sicher, dass du nichts abhaben willst?«, fragte Dad, und seine Stimme hob sich spöttisch.
    Der Geruch von heißer Zitrone machte aus meinem Magen und meinem Gehirn erbitterte Feinde. Dad warf mir einen Blick zu, selbstgefällig und siegesgewiss, und ich warf ihm einen auftrumpfenden zurück. Nach zermürbenden fünf Sekunden wandten wir beide unsere Köpfe zum Fenster, wie zum Luftholen.
    Der Streit auf der Straße legte gerade ein Pauschen ein. Das Mädchen saß auf der Haube eines schwarzen Valiant; der Typ stand neben ihr und rauchte eine Zigarette. Ich konnte ihre Hände nicht sehen, weil sie sie unter die Arme geschoben hatte, aber ich stellte mir vor, dass sie Teile seiner Kopfhaut herausgekratzt hatte. Dann hörte ich ein Schaben auf Metall. Im Hintergrund befand sich eine Gestalt, hinter dem Paar, jemand in einem roten Parka, der sich über Dads Auto beugte. Der rote Parka bewegte sich langsam am Auto entlang. Schwer zu sagen, was genau er tat, aber es schien, als kratze er mit einem Schlüssel in den Lack.
    »He, guck mal!«, rief ich und machte Dad auf die Szene aufmerksam, aber sein schlaksiger Körper war bereits auf dem Weg zur Tür. Ich sprang auf und setzte ihm nach. Es wurde meine erste Verfolgungsjagd durch die Straßen von Sydney. In den nächsten Jahren gab es noch einige, und nicht immer war ich der Verfolger, aber diese war die erste, und deshalb ist sie in meiner Erinnerung immer noch etwas Besonderes.
    Natürlich rannten wir auf

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